Ereignisse

Absturz im Prättigau

Der Bomber mit dem Kennzeichen H ist nach einem Einsatz über München im Schlappintal (Prättigau) abgestürzt und in der Schweiz verschrottet worden.

Das Seitenleitwerk der abgestürzten B-17 Flying Fortress. (274_1)

Das Seitenleitwerk der abgestürzten B-17 Flying Fortress. (274_1)

Nur wenige der in der Schweiz notgelandeten oder abgestürzten Bomber ereilte ein so tragisches Schicksal wie die im folgenden Bericht beschriebene B-17 der 457th Bomb Group. Nur gerade der Bordmechaniker erreichte lebend die Schweiz, vier Besatzungsmitglieder gerieten in Kriegsgefangenschaft, während vier weitere beim Absturz in der Nähe von Klosters in Graubünden den Tod fanden. Zwischen dem 11. und 13. Juli 1944 erlebte Bayerns Hauptstadt einen beispiellosen Bombenhagel. Während diesen drei Tagen schickte die 8th Air Force über 3’100 B-17 und B-24 mit rund 7’472 Tonnen Bomben über die „Stadt der Bewegung“. Triftige Gründe veranlassten die Amerikaner zu dieser Grossoffensive. Die viertgrösste Stadt des Reiches beherbergte eine gut funktionierende Rüstungsindustrie. So baute BMW in München-Allach den Motor für den gefürchteten Jäger Focke Wulf Fw 190. Ausserdem befand sich bei der gleichen Firma auch ein Strahltriebwerk für die Messerschmitt Me 262 in Arbeit. Die neunundvierzig amerikanischen Verluste in diesen drei Tagen machten gerade 1,5 Prozent der eingesetzten Flotte aus, dreiundzwanzig Bomber setzten sich in die neutrale Schweiz ab. Die 8th Air Force brachte am 12. Juli 1944 1’150 Maschinen, geschützt von 717 Begleitjägern, in die Luft. Wie am Vortag benützten die Bomber einen völlig neuen Anflugweg auf das Reichsgebiet, der aber die Luftwaffe und Fliegerabwehr nicht irritieren konnte. Eine geschlossene Wolkendecke über dem besetzten Europa vereitelte eine Präzisionsbombardierung, aber mit Hilfe des Bordradars konnte die Stadt an der Isar dennoch ausfindig gemacht werden. Allerdings hielt sich der Erfolg für die Amerikaner in Grenzen. Natürlich blieb auch dieser Raid nicht ohne seinen Preis. Von den vierundzwanzig als Vermisst gemeldeten Maschinen mussten jedoch nur gerade vierzehn über dem Reichsgebiet aufgegeben werden, während sich die restlichen Besatzungen in die Schweiz retten konnten. Verfolgen wir nun die sechsunddreissig Boeing B-17G der 457th Bomb Group „The Fireball Outfit“ auf ihrem Weg zum Ziel, den BMW-Motorenwerken in München-Allach.

Die unglückliche Besatzung wenige Tage vor der Verlegung nach Europa. Stehend von links nach rechts: Pilot: 2nd Lt Gerald L. Kerr. Copilot: 2nd Lt Arthur H. Lindskoog, Navigator: 2nd Lt Edward A. Schilling, Bombardier: 2nd Lt Melvin L. Levine. Sitzend: Engineer: T/Sgt Leon Finneran, Left Waist: S/Sgt Harold E. Ahlfors, Radio: T/Sgt Ernest J. Hegedus. Tail Gunner: Killion (flog nicht mit), Right Waist: S/Sgt Donald B. Boyle, Tail Gunner: S/Sgt Samuel P. Younger, Jr. nicht auf dem Foto (275_1)

Die unglückliche Besatzung wenige Tage vor der Verlegung nach Europa. Stehend von links nach rechts: Pilot: 2nd Lt Gerald L. Kerr. Copilot: 2nd Lt Arthur H. Lindskoog, Navigator: 2nd Lt Edward A. Schilling, Bombardier: 2nd Lt Melvin L. Levine. Sitzend: Engineer: T/Sgt Leon Finneran, Left Waist: S/Sgt Harold E. Ahlfors, Radio: T/Sgt Ernest J. Hegedus. Tail Gunner: Killion (flog nicht mit), Right Waist: S/Sgt Donald B. Boyle, Tail Gunner: S/Sgt Samuel P. Younger, Jr. nicht auf dem Foto (275_1)

Die auf der Army Air Force Station 130 in Glatton beheimatete Einheit stieg um 9.05 Uhr auf. Major Fred L. Spencer und Lt. Harry Stafford führten die Feuerbälle auf ihrer 87. Mission. Die Fliegerabwehr bereitete den Männern aus Übersee über München einen heissen Empfang. „Flab so dicht, dass man aussteigen und darauf hätte herumspazieren können!“ war ein oft gebrauchter Ausspruch der Besatzungen nach ihrer Rückkehr. Mit drei Verlusten war die „Fireball Outfit“ die schwerst gezeichnete Gruppe. Zwei Festungen setzten sich mit Flabschäden über dem Ziel Richtung Schweiz ab, während Lt. Kaufman eine schrottreife B-17 zurück an den Kanal brachte, um vor Felixstowe notzuwassern. Der Bomber der 8th Air Force, 457th Bomb Group mit dem Kennzeichen H ist nach einem Einsatz über München im Schlappintal im Prättigau abgestürzt und in der Schweiz verschrottet worden. Die B-17G-20-BO von Lt. Gerald L. Kerr und seiner gut eingespielten Besatzung hatte über München zahlreiche Treffer abbekommen – mit nur zwei intakten Motoren hinkte sie Richtung Schweiz. Die Crew musste auf ihrer elften Mission jede Hoffnung auf eine Rückkehr nach Glatton sehr rasch aufgeben – die neutrale Insel im Herzen Europas bot sich als einzige Alternative an. Zwei Begleitjäger nahmen sich dem angeschlagenen Bomber an. Erst einen Tag zuvor hatte die Besatzung diesen Veteranen in der Gruppe übernommen. Für die München-Mission flogen alle Festungen der 457th Bomb Group mit nur neun Mann Besatzung. Seitenschütze Killion war der Glückliche, der diesmal zu Hause bleiben konnte. Dafür musste sein Kollege Harold E. Ahlfors eben beide Seiten-Maschinengewehre bedienen.

Gerald L. Kerr, Arthur H. Lindskoog, Edward A. Schilling, Melvin L. Levine überlebten den Absturz nicht. Leon Finneran überlebte und wurde in der Schweiz interniert. Die übrigen Besatzungsmitglieder gerieten in deutsche Gefangenschaft. (275_2)

Gerald L. Kerr, Arthur H. Lindskoog, Edward A. Schilling, Melvin L. Levine überlebten den Absturz nicht. Leon Finneran überlebte und wurde in der Schweiz interniert. Die übrigen Besatzungsmitglieder gerieten in deutsche Gefangenschaft. (275_2)

Den weiteren Verlauf der Mission schildert Heckschütze Donald B. Boyle: Wir verloren die ganze Zeit an Höhe, über den Alpen drehten dann unsere beiden „kleinen Freunde“, die Begleitjäger, ab. Bald waren wir tiefer als die Berggipfel und kämpften uns durch Schneeböen. Kerr zirkelte unseren Bomber mit Fingerspitzengefühl um die Berge herum. Während des Fluges sackte unsere „552“ immer rechts durch, da nur noch die beiden linken Motoren arbeiteten. Es war Kerrs Flugkünsten zu verdanken, dass wir überhaupt so weit kamen. Dann begann um etwa zwei Uhr unser dritter Motor Öl zu spucken, dazu war die Sicht gleich Null. Nun aber raus aus der Kiste! Schütze Ahlfors, Funker Ernst J. Hegedus, Kugelturmschütze Samuel P. Younger und ich ergriffen die Fallschirme und sprangen – direkt in die Hände der Deutschen! Tatsächlich waren die vier nur wenige Kilometer vor der Grenze im Schnee gelandet. Younger und Ahlfors zogen sich dabei Verletzungen zu. Wenig später griff ein Grenzjäger die unglückliche Crew auf, die den Rest des Krieges im Gefangenenlager Stalag IV bei Stettin in Pommern, das im Oktober 1944 gegen 7’975 amerikanische Flieger beherbergte, verbrachten. In der Zwischenzeit war an Bord die Hölle los, Motor Nummer 3 quittierte den Dienst und Kerr konnte seinen Bomber nur noch unter grössten Anstrengungen halten. Bordmechaniker Leon Finneran und Co-Pilot Arthur H. Lindskoog waren die nächsten, die ausstiegen, während Navigator und Bombenschütze dem Piloten halfen, einen Weg durch die Milchsuppe zu bahnen. Schon über der rettenden Schweiz ereilte die Besatzung ein schlimmes Schicksal. Nur wenige Sekunden, nachdem Finneran und Lindskoog den Bomber verlassen hatten, prallte die Festung gegen einen Berg im Schlappintal und explodierte. Für den Piloten und die beiden Helfer, den Navigator Edward A. Schilling und den Bombenschützen Melvin L. Levine, gab es kein entrinnen mehr, doch auch Lindskoog sollte den Tag nicht überleben. Sein Fallschirm öffnete sich nicht. Die Leiche wurde bei Aufräumarbeiten am 20. Juli etwa 700 m neben den Trümmern des Flugzeuges geborgen. Finneran konnte einen Tag nach dem Absturz nahe der Grenze von Schweizer Soldaten aufgegriffen und zu Tal geführt werden. Die unglückliche Besatzung fand auf dem Internierten-Friedhof von Münsingen bei Bern die letzte Ruhestätte.


Ereignissdatum 12.7.1944
Ort Schlappintal
Kanton GR
Ereignis Absturz
Nation Amerika
Flugzeugart Bomber
Flugzeugtyp B-17 Flying Fortress
Flugzeugbezeichnung B-17 G-20-BO
Einteilung 8th Air Force, 457th Bomb Group, 748th Squadron
Basis Glatton (GB)
Auftrag Bombardierung
Einsatzziel München (D)
Rückkehr in der Schweiz verschrottet
Werknummer 42-31552
Kennzeichen H
CH Archiv Nr. A098
US MACR Nr. 6926
Besatzung Pilot: Gerald L. Kerr, 2nd Lt, im Kampf gestorben
Copilot: Arthur H. Lindskoog, 2nd Lt, im Kampf gestorben
Navigator: Edward A. Schilling, 2nd Lt, im Kampf gestorben
Bombardier: Melvin L. Levine, 2nd Lt, im Kampf gestorben
Engineer: Leon Finneran, T/Sgt
Radio: Ernest J. Hegedus, T/Sgt, deutsche Gefangenschaft
Right Waist: Donald B. Boyle, S/Sgt, deutsche Gefangenschaft
Left Waist: Harold E. Ahlfors, S/Sgt, deutsche Gefangenschaft
Tail Gunner: Samuel P. Younger, Jr., S/Sgt, deutsche Gefangenschaft
Quelle Cockpit
Autor Hans-Heiri Stapfer