Brennende Motoren, ausfliessender Treibstoff
Der Bomber mit dem Kennzeichen WF-H und dem Übernamen „Lazy Baby“ ist nach einem Einsatz über Schweinfurt bei Reinach-Aesch notgelandet und in der Schweiz verschrottet worden.
Mit der Mission 115 sollte der Produktion von Kugellagern im Herzen des Dritten Reiches ein vernichtender Schlag versetzt werden. Der Einsatz war auf Donnerstag, den 14. Oktober 1943 festgesetzt, ein Datum, das später als „Schwarzer Donnerstag“ in die Annalen der amerikanischen Luftkriegsgeschichte eingehen sollte. An diesem Tag starteten um 10 Uhr morgens insgesamt 320 Bomber der 1., 2. und 3. Bomberdivisionen der 8. US Luftflotte von englischen Basen. Die Aufgabe dieser Mission war es, zum zweiten Mal die wichtigen Fischer Kugellagerfabriken in Schweinfurt zu bombardieren. Dort wurden fast 50% des gesamten deutschen Kriegsbedarfes hergestellt. Die am Ende dieses langen Tages eröffnete Bilanz war für die US Air Force erschreckend. Sechzig der 30-t-schweren Bomber, jeder mit einer zehnköpfigen Besatzung, wurden von deutschen Jägern und Flak abgeschossen. Weitere 138 wurden beschädigt. 594 Besatzungsmitglieder wurden als vermisst gemeldet, dazu kamen viele Verwundete und Tote. Auf deutscher Seite wurden die Verluste offiziell auf 38 Abschüsse und etwa 50 beschädigte Maschinen beziffert. Immerhin wurden von den 228 Bombern, die Schweinfurt angriffen, etwa 2’900 Bomben im Gesamtgewicht von 483 t abgeworfen. Diese Ziffern gaben zur Absendung einer kurzen Depesche an General Eisenhower Anlass, in der ihm mitgeteilt wurde, dass die Bombenabwürfe die offensichtlich totale Vernichtung des Zielobjektes zur Folge gehabt hätten. Auf der Woge der Begeisterung erklärte sogar General Henry Arnold, der Oberkommandierende der 8. Luftflotte, dass die Werke ausser Betrieb gesetzt seien, und dass seine Bomber für lange Zeit nicht mehr nach Schweinfurt zurückzukehren brauchten.
Die Wirklichkeit sah anders aus. Von den 2’900 abgeworfenen Bomben waren nur etwa 200 auf das Fabrikgelände gefallen. Die dadurch verursachten Schäden am gesamten Maschinenpark der Kugellagerfabriken wurden auf 10 bis 15% geschätzt. Der Hauptgrund für die eher optimistischen Aussagen der Amerikaner lag nicht zuletzt im Versuch, die horrenden eigenen Verluste herunterzuspielen und zu rechtfertigen. In Wirklichkeit waren die Amerikaner von dem Schweinfurt-Unternehmen derart mitgenommen, dass sie ihre „Fliegenden Festungen“ bis zum 24. Februar 1944 nicht mehr an diesen Ort zurückkehren liessen und dann nur unter der Begleitung von Langstreckenjägern auf der ganzen Strecke. Für die Besatzungen der fünfzehn „Fliegenden Festungen“ der Bombergruppe 305 erwies sich die Schweinfurt-Mission als Selbstmordaktion. Diese Gruppe hatte bereits bei der komplizierten Eingliederung in die zeitlich genau vorgeschriebene Gefechtsformation irgendwie mit sechs Minuten „den Zug verpasst“. So hinkten sie dem Bomberverband nach, der sich umgliedern musste. Von den fünfzehn Bombern dieser Gruppe entkamen nur gerade drei dem Inferno, zwei schafften schwer angeschlagen noch den Rückflug nach England, einem glückte die Notlandung in der Schweiz. Einer der Piloten dieser fünfzehn B-17 war Edward Dienhart, am 11. Mai 1918 in Flint (Michigan) geboren. Er war erst im August 1943 nach England gekommen. Mission 115 bedeutete für ihn den siebten Einsatz. Zuvor hatte er an den Angriffen auf Romilly, Nantes, Emden (zweimal), Bremen und Gdingen teilgenommen. Seine junge Besatzung – fast alle nicht älter als zwanzig Jahre – wusste wohl, dass dieser zweite Einsatz nach Schweinfurt im Herzen von Deutschland mörderisch werden würde. Ein böses Omen war, dass der erste kombinierte Angriff am 17. August 1943 auf Schweinfurt und Regensburg sechzig Bomber gekostet hatte. Den rund 3’200 an der Mission 115 beteiligten Fliegersoldaten wurde der Einsatzplan folgendermassen erklärt: Die Kampfkraft besteht aus neunzehn Bombergruppen mit insgesamt 383 Flugzeugen der 1., 2. und 3. Air Divisionen unter Begleitung von 160 Thunderbolt-Jägern, ausgerüstet mit zusätzlichen Tokio-Benzintanks. Die 1. und 2. Division sollten im Abstand von 50 km voneinander die feindlichen Verteidigungslinien frontal durchstossen. Die 3. Division sollte einen mehr südlichen Bogen fliegen, um erst 30 Minuten später anzugreifen. Die Absicht war, den Gegner mit den ersten zwei Divisionen zu erschöpfen und ihn dann nach napoleonischer Taktik mit dem letzten „Carre“ zu besiegen. Leider ging diese Rechnung nicht ganz auf. Wegen schlechter Wetterbedingungen konnten sich von den 60 für die Mission 115 vorgesehenen Liberator-Bombern der 2. Division nur neunundzwanzig beim Formationsaufbau einfinden. Angesichts ihrer geringen Stärke glaubten sie sich nicht in der Lage, den Einflug in Deutschland zu wagen. Über den friesischen Inseln machten sie kehrt und flogen nach England zurück. Wegen Motorenschäden mussten auch dreiunddreissig B-17 vorzeitig den Rückflug antreten. Die Folge war, dass bereits vor Operationsbeginn die Kampfkraft des Bomberverbandes um fast einen Drittel vermindert war. Das hatte entscheidende Folgen auf die defensive Feuerkraft und die Intensität der Bombenabwürfe.
Eine Stunde nach der Notlandung: Ein Soldat bewacht die B-17 deren Bug durch ein Flabgeschoss aufgerissen wurde. (232_1)Auch verschiedene Täuschungsmanöver der 1. und 3. Division, die bei Aachen und Frankfurt den Kurs änderten, um Angriffe auf Augsburg und München oder andere Städte vorzutäuschen, hatten keinen grossen Erfolg, obwohl die 3. Division besser davon kam. In der Nähe von Aachen kam es zur ersten Feindberührung. Das geschah kurz nachdem die Thunderbolt-Begleitjäger die Bomberformationen verlassen hatten. Darauf hatten die Deutschen nur gewartet. Es war jetzt 13.33 Uhr. Ungefähr 400 deutsche Flugzeuge verschiedenster Typen – nach dem Befehl „alles was noch fliegen kann…“ – stürzten sich auf die amerikanischen Bomberverbände, die ihr Heil in enger Igelstellung suchten. Eine viermotorige Fw 200 flog in sicherer Entfernung hintendrein, um den deutschen Feldflughäfen und Flabstellungen laufend Höhe, Geschwindigkeit und Position der amerikanischen Bomber mitzuteilen. In dieses Luftgefecht war auch die Boeing B-17F-BO „Lazy Baby“ 42-30831 von Lt Edward Dienhart verwickelt. Sie schoss was ihre elf 12,7 mm Maschinengewehre hergaben. In kurzer Zeit meldete die Besatzung den Abschuss von fünf deutschen Fw 190 und Me 109. Diese hatten den Angriff von vorne unten vorgetragen. Die Abwehr der „Lazy Baby“ wurde durch den Umstand erschwert, dass starke Verbände von Ju 88 und Me 210 aus etwa 1’000 Meter Entfernung 40 Kilo-Raketen auf die Bomberformationen abschossen. Mit Grauen musste Dienhart zusehen, wie eine B-17 nach der anderen abgeschossen wurde. Dann musste er erkennen, dass er von seiner Staffel 364, die ursprünglich aus sieben Maschinen bestanden hatte, der Letzte war. Nun erwischte die Flab auch seine B-17 und zerfetzte an mehreren Stellen den Rumpf. Bald darauf explodierte hoch über Frankfurt eine Rakete in der Plexiglaskanzel der „Lazy Baby“, genau zwischen dem Bombenschützen Carl Johnson und dem Navigator Donald Rowley. Diese hatten die drei vorderen Mg’s bedient. Carl Johnson wurde das Gesäss weggerissen und Donald Rowley verlor seine linke Hand. Auch sein rechter Arm und seine Brust waren schwer verwundet.
Dann wurden die beiden linken Motoren der Maschine getroffen, und das Triebwerk Nummer 2 fing an zu brennen. Während Copilot Brunson Bolin den Propeller auf Segelstellung brachte und das Feuer löschte, erwischte es auch die rechten Motoren, dazu floss Treibstoff aus den aufgerissenen Tanks. Es bestand wieder Feuergefahr. Die Lage wurde im wahrsten Sinn des Wortes unhaltbar. Jetzt gab Dienhart den Befehl zum Abspringen. Bolin, der neben ihm sass, sowie George Blalock, der obere Turmschütze, folgten dem Befehl. Der Heckschütze, Bernhard Segal, hatte seine Beine bereits in der Ausfalltreppe, als er sich anders besann. Er war Jude und hatte sich entschieden, lieber zu sterben als von den Deutschen umgebracht zu werden. Die restliche Mannschaft hatte den Befehl gar nicht gehört, da das Bordtelefon zerschossen war und die Alarmglocke ebenfalls nicht mehr funktionierte. Dienhart dachte, dass er allein im Flugzeug war. Er wollte die Maschine noch so lange halten, bis auch er aussteigen konnte. Da sah er plötzlich Johnson, der blutüberströmt zu ihm herauf kroch, um ihn über den hoffnungslosen Zustand von Rowley zu informieren. Rowley war nicht mehr fähig abzuspringen. Daraufhin beschloss der Rest der Mannschaft, ihn nicht sich selbst zu überlassen. Zuvor hatte Rowley von Johnson, der auch schwer verletzt war eine Morphiumspritze bekommen. Johnson hatte ihm auch die Arme mit einem Tuch abgebunden. Der Funker Hurley Smith war ebenfalls verwundet worden. Er hatte nicht weniger als fünfunddreissig Flabsplitter in seinem Körper und dazu hatte er sich den Arm gebrochen. Sein Fallschirm hing ihm zerfetzt an der Brust. In diesem Chaos hämmerte Raymond Baus, der untere Bordschütze, gegen die Oberwand, um Hilfe zu bekommen. Völlig durchnässt von Hydrauliköl sass er als Gefangener in seiner angeschossenen und blockierten Plexiglaskugel. Sein Fallschirm, für den kein Platz in diesem engen Raum bestand, befand sich oben in der Kabine. Inzwischen wehrten die beiden anderen Seitenschützen, Christy Zullo und Robert Cinibulk, die erneuten Angriffe eines einzelnen Jägers ab, der die angeschlagene B-17 verfolgte. Zu diesem Zeitpunkt war Dienhart in den Tiefflug übergegangen, um bei der Abwehr mitzuhelfen. Er war sich dabei bewusst, dass der gewaltige Luftstrom, der durch die offene Kanzel der Maschine zog, den Rumpf zum bersten bringen konnte. Mit letzter Kraft schleppte der verwundete Johnson seinen tödlich verletzten Kameraden aus dem heulenden Wind hinauf in die Kanzel und brachte ihn auf den freien Sitz des Copiloten. An einer anderen Stelle des Flugzeuges arbeiteten Zullo und Cinibulk fieberhaft mit Stemmeisen und Handwinden, um den eingeschlossenen Raymond Baus, der sah, dass die Erde immer näher auf ihn zukam, aus seiner misslichen Lage zu befreien.
Inzwischen hatte Dienhart die Maschine auf etwa 10 m über den Erdboden herunter gebracht. Mit Hilfe von Rowley, der nun fest am Copilotensitz angeschnallt war, versuchte er die „Lazy Baby“ mit letzter Kraft Richtung Schweiz zu steuern. Obwohl alle Bordkarten vom Sog aus dem Flugzeug herausgerissen worden waren, kannte Rowley den Flugweg ziemlich auswendig. Er rügte sogar den Flugzeugführer, wenn er glaubte, dass dieser vom eingeschlagenen Kurs abwich. Zullo, Cinibulk, Segal und der inzwischen befreite Raymond Baus kümmerten sich jetzt um die beiden Verwundeten, Smith und Johnson. Dem Letzteren wurde als Notlösung ein ganzes Frottiertuch hinters Gesäss geschoben, was ihm erlaubte, sich mit der restlichen Besatzung zur Notlandung gegen die Wand im Funkerraum zu stemmen. Zuvor gelang es Johnson, sich der unbequemen Last der sechs 500-Kilobomben zu entledigen, indem er sie noch vor der Schweizer Grenze irgendwo abwarf, zusammen mit den beiden schweren Seiten-Mg’s und vielen anderen Ausrüstungsgegenständen. Dienhart drehte in der Gegend von Münchenstein, Ettingen und Aesch mehrere Kurven, um einen geeigneten Landeplatz zu finden. Endlich entschloss er sich, in der Nähe von Aesch und Ettingen im Schlatthof auf einem Kartoffelacker zu landen, mit eingezogenem Fahrwerk, aber mit offenen Bombenschachttüren, die zusammen mit der Kugelwanne bei der Bauchlandung weggerissen wurden. Es war eine fliegerische Meisterleistung, denn der Pilot konnte mit nur einem Motor manövrieren. Ein anderes Triebwerk war völlig ausgefallen, und die restlichen beiden waren auf „Automatic“ gestellt. Nach dem Aufsetzen wurde Rowley bewusstlos, aber zuvor hatte er noch augenzwinkernd zu Dienhart gesagt, dass dies seine beste Landung war. Als Dienhart das Kanzelschiebefenster öffnete, blickte er in die Augen von Oskar Hell, eines jungen Bauernsohnes, der gerade auf dem Feld gearbeitet hatte. Dieser war so schnell, wie er konnte, auf das Flugzeug geklettert und hatte mehrmals das Wort y dr Schwyz
ausgesprochen. Dienhart ergriff darauf seine Hand und wollte sie nicht mehr loslassen. Die anderen Boys sprangen auf die Tragflächen und führten einen Freudentanz auf. In diesem Moment konnte Dienhart nicht wissen, dass er seine Maschine nur etwa 7 km von der deutschen Grenze entfernt, unweit der von den Deutschen besetzten Felsenfestung „Landskrone“, heruntergebracht hatte. Die B-17 „Lazy Baby“ war die zehnte „Fliegende Festung“, die bis zu jenem Zeitpunkt in der Schweiz Zuflucht gesucht hatte. Rowley starb einen Tag später an seinen fürchterlichen Wunden im Kantonsspital Basel. Johnson und Smith überlebten und wurden nach Wiederherstellung mit der restlichen Besatzung der „Lazy Baby“ in Adelboden interniert. Dort lernte Christy Zullo seine spätere Frau kennen, mit der er regelmässig die Schweiz besucht. Alle überlebenden Besatzungsmitglieder der „Lazy Baby“ kehrten nach dem Kriegsende heil nach Amerika zurück. Auch die beiden Besatzungsmitglieder, die vorzeitig mit dem Fallschirm abgesprungen waren, konnten ihre Heimat wieder sehen.
Ereignissdatum | 14.10.1943 |
Ort | Reinach |
Kanton | BL |
Ereignis | Notlandung |
Nation | Amerika |
Flugzeugart | Bomber |
Flugzeugtyp | B-17 Flying Fortress |
Flugzeugbezeichnung | B-17 F-120-BO |
Flugzeug-Spitzname | Lazy Baby |
Einteilung | 8th Air Force, 305th Group, 364th Squadron |
Basis | Chelveston (GB) |
Auftrag | Bombardierung |
Einsatzziel | Kugellagerwerke Schweinfurt (D) |
Rückkehr | in der Schweiz verschrottet |
Werknummer | 42-30831 |
Kennzeichen | WF-H |
CH Archiv Nr. | A011 |
US MACR Nr. | 913 |
Besatzung | Pilot: Edward W. Dienhart, 1st Lt Copilot: Brunson W. Bolin, 2nd Lt, deutsche Gefangenschaft Navigator: Donald T. Rowley, 2nd Lt, im Kampf gestorben Bombardier: Carl A. Johnson, 2nd Lt Engineer: George H. Blalock, Jr., T/Sgt, deutsche Gefangenschaft Radio: Hurley D. Smith, T/Sgt Ball Turret: Raymond C. Baus, S/Sgt Right Waist: Christy Zullo, S/Sgt Left Waist: Robert Cinibulk, S/Sgt Tail Gunner: Bernard Segal, S/Sgt |
Quelle | Cockpit |
Autor | Hans-Heiri Stapfer |