Die Flucht des Majors
Mit dieser Maschine flüchtete ein deutscher Major nach Dübendorf. Im Sommer 1945 wurde das Flugzeug gekauft und als A-95 bei der Schweizer Fliegertruppe eingesetzt. Am 29.12.1965 wurde das Flugzeug verschrottet.
In den letzten Kriegswochen, kurz vor dem Zusammenbruch des Dritten Reiches, suchten mehrere deutsche Besatzungen mit Schulflugzeugen Zuflucht in der Schweiz. Auch ein Infanterie-Major mit wenig Flugerfahrung entzog sich so am 26.April 1945 mit einer Focke Wulf Fw 44F der Gefangennahme durch die Alliierten. Am 25. April 1945 reichten sich amerikanische und russische Soldaten bei Torgau die Hände und zerschnitten somit den deutschen Verteidigungsraum in zwei Teile. Im Süden nahm die 1.französische Armee Stuttgart und Mühlheim ein, Teile der 7.US Armee eroberten Ulm und stiessen zusammen mit den Franzosen rasch gegen Süddeutschland und den Bodensee vor. Der Krieg tobte nunmehr vor der Haustüre der neutralen Schweiz. Die Alliierten besassen über dem Reich die absolute Luftherrschaft. Die taktischen Verbände der 9th und der 12th Air Force, unterstützt von der französischen Armee de l’Air, flogen massive Angriffe gegen Flugplätze, Munitionsdepots, Brücken und Bahnhöfe im Süden Deutschlands. Nach der Überquerung des Rheins durch die 1.französische Armee ordnete der Schweizer Generalstab wieder eine erhöhte Alarmbereitschaft an, da man eine Grenzüberschreitung seitens der Alliierten oder der zurückweichenden deutschen Wehrmacht nicht ausschloss. Die kriegerischen Auseinandersetzungen an unserer Nordgrenze führten im April 1945 zu 850 Grenzverletzungen durch fremde, meist alliierte Flugzeuge. Das war die grösste Anzahl von registrierten Überflügen in einem Monat während des letzten Kriegsjahres.
Eine Delegation von Schweizer Offizieren der Flieger- und Fliegerabwehrtruppen wurde am 20.April zur 1. französischen Armee abkommandiert, um dort während dreier Wochen die Aktionen der Franzosen zu verfolgen.Trotz ungebremster Siegeszuversicht der deutschen Propaganda in Radio und Wochenschau wurde bei einem Grossteil des Heeres und der Bevölkerung jeder weitere Widerstand als unsinnig erachtet. Viele suchten ihr Heil in der Flucht vor den Alliierten, so auch der 35 jährige Major der Infanterie Arno Albrecht, welcher sich im Tuttlinger Spital einer Nasenoperation unterziehen musste. Major Albrecht hatte vom Sommer 1942 bis Frühjahr 1943 an der Ostfront ein Infanterie-Bataillon geführt. Am 21. April 1945 wurde bekannt, dass die 7.US-Armee im Begriff war, Tuttlingen einzunehmen, worauf sich der Major zur Flucht aus dem Spital entschloss, um seinen Auftrag, die Sprengung des Flugplatzes von Konstanz noch auszuführen. Mit dem Auto gelangte Major Albrecht nach Überlingen und später nach Meersburg, wo er mit der Bodenseefähre nach Konstanz übersetzen wollte. Am Ostausgang von Meersburg sichtete der Major zwei feindliche Jagdbomber und verliess, seiner Kriegserfahrung gehorchend, blitzartig sein Fahrzeug, um sich im Strassengraben in Deckung zu werfen. Sekunden später verwandelten die hämmernden Bordkanonen der Jäger sein Gefährt in ein brennendes Wrack. In weiteren Angriffen nahmen die Alliierten den deutschen Major aufs Korn, welcher, langsam aus der Gefahrenzone kriechend, nur einen Streifschuss über dem rechten Auge abbekam. Bewohner eines nahegelegenen Hauses leisteten erste Hilfe.
Als Arno Albrecht am 25. April doch noch Konstanz am Bodensee erreichte, erkannte er die Sinnlosigkeit jedes weiteren Widerstandes und entschloss sich zum freiwilligen Übertritt in die neutrale Schweiz. In der folgenden Nacht verhandelte der Major mit eidgenössischen Offizieren an der Grenze, welche ihm den Vorschlag machten, Albrecht solle mit einem Flugzeug in die Schweiz flüchten. Zur Flucht benutzte Major Albrecht eine auf dem Flugplatz Konstanz abgestellte Focke Wulf Fw 44F Stieglitz mit der Werknummer 462, welche im Jahre 1934 für die Militärpiloten-Schulung bei Focke Wulf Flugzeugbau GmbH in Bremen gefertigt worden war. Dieser Doppeldecker wurde von einem Sieben-Zylinder Sternmotor Siemens Sh 14A-4 mit einer Leistung von 160 PS angetrieben. Die Stieglitz besass neben dem Stammkennzeichen NV+KF noch ein gelbes Rumpfband, das typische Zulassungskennzeichen für die an der Ostfront eingesetzten Flugzeuge der deutschen Luftwaffe. Die Fw 44F war am Rumpfende vor dem Schleifsporn noch mit einer Vorrichtung zum Schleppen von Segelflugzeugen ausgerüstet. Eine Totalrevision erfolgte während des Krieges bei der Firma Max Olbrich in Wien-Aspern, welche das Flugzeug am 28. September 1942 wieder ablieferte. Trotz des für Kriegszeiten fast biblischen Alters befand sich das zweiplätzige Schulflugzeug in einem erstaunlich guten Zustand. Am späten Morgen des 26. April 1945 belud der Major den vorderen Sitzraum der Fw 44F mit zwei Koffern, welche persönliche Effekten enthielten. Da der Offizier wegen seines Spezial-Sprengauftrages in Konstanz absolute Befehlsgewalt über den Platz besass, verliefen die Fluchtvorbereitungen ohne Probleme.
Der begeisterte Segelflieger Arno Albrecht erhielt während des Krieges nur eine ganz kurze Ausbildung auf Schulmaschinen und besass aus diesem Grund kaum Erfahrung mit Motorflugzeugen. Um keinen Verdacht aufkommen zu lassen, steuerte der Major seine Maschine erst seeaufwärts Richtung Radolfzell, um dann nach einer langgezogenen Schleife bei Kreuzlingen am Bodensee, unweit seines Startplatzes, in die rettende Schweiz einzufliegen. Mit praktisch leeren Tanks erreichte Arno Albrecht den Flugplatz Dübendorf, wo er um 12.37 Uhr spektakulär und nicht gerade bilderbuchmässig aufsetzte. Aus dem mehrmaligen Touchieren und Aufhüpfen auf dem Rollfeld schlossen die anwesenden Schweizer Soldaten sofort auf einen Anfänger am Steuerknüppel, was sich bei der späteren Befragung durch Offiziere des Nachrichtendienstes auch bestätigte. Als A-95 bei der Fliegertruppe Im Sommer 1945 konnte die Maschine über die alliierte Kontrollkommission käuflich erworben werden und kam nach einer eingehenden Kontrolle mit der Immatrikulation A-95 bei der Fliegertruppe zum Einsatz.
Das Fehlen jeglicher Dokumentation über den Lebenslauf der Maschine sowie der Betriebshandbücher erschwerte den Einsatz des nunmehr leuchtend gelb mit schwarzen Zierstreifen und schwarzer Immatrikulation bemalten Veteranen. Der Einzelgänger kam nur sehr sporadisch zum Einsatz, da mit den vor dem Krieg beschafften Bücker Bü 131 und Bü 133 genügend Ausbildungsmaschinen zur Verfügung standen. Bis zum Ausscheiden aus dem Dienst der Fliegertruppe im Juni 1953 wurden lediglich 52,05 Stunden geflogen. Wenige Monate vor der Verkaufsausschreibung an zivile Interessenten wurde die Stieglitz durch den technischen Dienst der Betriebsgruppe Dübendorf nochmals einer eingehenden Kontrolle unterzogen. Die Fock Wulf Fw 44F Stieglitz ging nach dem Ausscheiden aus dem militärischen Einsatz in den Besitz der Fliegerschule Birrfeld über, wo die Maschine zum Einsitzer umgebaut wurde. Sitz und Instrumentenbrett wurden aus dem vorderen Cockpit entfernt und die Öffnung des vormaligen Führerraumes abgedeckt. Als HB-EBN konnte die Stieglitz am 19. Juni 1953 ins Birrfeld überflogen werden, wo sie für den Schlepp von Segelflugzeugen eingesetzt wurde. Am 2. Oktober 1962 ging die Maschine in den Besitz von Luigi Santa aus Zürich über, blieb aber im Birrfeld stationiert. Ende 1965 liess der Eigentümer die nunmehr 31 jährige Maschine verschrotten. Die Immatrikulation wurde am 29. Dezember 1965 gelöscht.
Ereignissdatum | 26.4.1945 |
Ereignisszeit | 12.37 |
Ort | Dübendorf |
Kanton | ZH |
Ereignis | Landung |
Nation | Deutschland |
Flugzeugart | Trainer |
Flugzeugtyp | Focke Wulf Fw 44 Stieglitz |
Flugzeugbezeichnung | Focke Wulf Fw44F Stieglitz |
Basis | Konstanz (DE) |
Rückkehr | Übernahme durch die Schweiz |
Werknummer | 462 |
Kennzeichen | F |
CH Archiv Nr. | D053 |
Besatzung | Pilot: Arno Albrecht, Major |
Quelle | Fremde Flugzeuge in der Schweiz |
Autor | Theo Wilhelm |