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Flabgeschosse krepierten hautnah neben uns

Der Bomber mit dem Kennzeichen FO-G und dem Übernamen „Vonnie Gal“ ist nach einem Einsatz über Leipzig in Payerne gelandet. Am 25.09.1945 nach Burtowood zurück gekehrt.

Die "Vonnie Gal" nach der Landung auf dem Flugplatz Payerne. (286_1)

Die „Vonnie Gal“ nach der Landung auf dem Flugplatz Payerne. (286_1)

Im Allgemeinen ist über das Vorleben der internierten Bomber nicht sehr viel bekannt. Diese Feststellung gilt nicht für die „Vonnie Gal“, eine B-17F, welche vermutlich mehr Missionen als jede andere B-17 oder B-24 verzeichnete, doch die Umstände ihrer Landung in Payerne am 20. Juli 1944 liegen immer noch im Dunkeln. Die letzten sechsundsechzig bei Douglas in Long Beach produzierten B-17F erhielten bereits im Werk einen Bendix-Kinndrehturm, wie er später bei allen B-17G-Versionen standardmässig eingebaut wurde. Diese als F-Kontrakt gebauten Festungen unterschieden sich äusserlich nicht von den normalen B-17G. Sie wurden auch bei der Air Force als G-Maschinen bezeichnet. Mit diesem zusätzlichen Abwehrstand mit seinen zwei 12,7mm Mg versuchte man sich der immer häufiger auftretenden Frontalangriffe der Deutschen zu erwehren. Die Fertigung dieses neuen Musters lief im Juli 1943 an, die ersten mit Kinndrehturm ausgestatten B-17F erreichten im September die 8th US-Luftflotte in England. Unter diesen relativ seltenen Exemplaren befanden sich auch die Werknummer 42-3524, eine Boeing B-17F-75-DL mit dem Kennzeichen FO-G, welche im Spätherbst 1943 der 379th Bomb Group zugeteilt wurde. Die in Kimbolton bei Cambridge stationierte Einheit galt in der „Achten“ als Mustergruppe. Zwischen dem 29. Mai 1943 und dem 25. April 1945 beförderte die 379th Bomb Group in 10’492 Einsätzen 26’459 Tonnen Bomben über die von Hitler proklamierte „Festung Europa“, mehr als jeder andere jemals auf dem europäischen Kriegsschauplatz eingesetzte Verband, dies zudem mit der niedrigsten Anzahl von frühzeitigen Missionsabbrüchen infolge technischer Defekte. Dieser vorbildlichen Einsatzbereitschaft lagen wohl auch die hundertsiebenundfünzig Flüge der B-17G „Ol Gappy“ zugrunde, eine Rekordmarke, welche von keinem anderen viermotorigen Bomber der alliierten Luftstreitkräfte überboten wurde.

Detailaufnahme der Plexiglasnase der Flying Fortress und darunter das Kinngeschütz. (287_1)

Detailaufnahme der Plexiglasnase der Flying Fortress und darunter das Kinngeschütz. (287_1)

Die Werknummer 42-3524 war mit Sicherheit eine der allerersten Festungen mit Kinndrehturm bei der 379th Bomb Group. Ihre erste Besatzung, welche mehr als zwanzig Missionen flog, taufte sie „Vonnie Gal“, was natürlich mit irgendeinem weiblichen Wesen zu tun haben musste, denn „Gal“ ist amerikanischer Slang für „Mädchen“. In der ersten Januarwoche kam der Bomber unter die Obhut von Master Sergeant Owens und seiner beiden Mechaniker Joseph D’Angelo und Bill Tammero, welche das „Mädchen“ nach jedem Einsatz wieder auf Vordermann brachten. Joseph E. D’Angelo erinnert sich: Wir betreuten diese B-17, bis sie Ende 1944 von Leipzig nicht mehr zurückkam. Das war für die Bodencrew ein schwerer Schlag, denn „Vonnie Gal“ war uns inzwischen so richtig ans Herz gewachsen. Ab April mauserte sie sich zur ältesten Festung in der 379th Bomb Group und sie immer noch einsatzbereit zu halten, das war schon eine ganz besondere Herausforderung für uns! Gegen Mitte April übernahm Charles J. La Mont und seine Besatzung dieses Flugzeug. Jack La Mont schilderte seine Eindrücke: Als wir „Vonnie Gal“ zum ersten Mal sahen, waren wir regelrecht schockiert. Die ganze Aussenhaut war nur so von Flickstellen übersät. Kurz, dieser Bomber machte auf uns – einmal gelinde ausgedrückt – einen ziemlich miesen Eindruck, sie war so etwas wie ein altes, abgekämpftes Schlachtross! Doch die Crew musste sich auch mit einer anderen Unannehmlichkeit vertraut machen, dem mechanisch betriebenen Kompressorregulator. Erst spätere B-17G erhielten einen einfacheren, automatisch arbeitenden Regulator, der selbständig die optimale Aufladung der Motoren bestimmte.

Der Bombenschütze Delmire Brown vor der "Vonnie Gal". Der Kinndrehturm wurde aufgrund der Kriegserfahrungen eingebaut. (287_2)

Der Bombenschütze Delmire Brown vor der „Vonnie Gal“. Der Kinndrehturm wurde aufgrund der Kriegserfahrungen eingebaut. (287_2)

La Mont dazu: Unsere „Vonnie Gal“ hatte für jedes Aggregat einen separaten Regulator, welcher äusserstes Fingerspitzengefühl erforderte. Bei zuviel Ladedruck schnellten die Tourenzähler in den roten Bereich, was zu Motorenschaden führen konnte. Im engen Formationsflug mussten wir andauernd an der Kompressorverstellung herum hebeln um sicher mit dem Verband mithalten zu können. Bei acht oder zehn Stunden Flug wurde das ganz schön anstrengend und ermüdend. Es brauchte drei Missionen bis wir feststellten, dass zum Formationhalten die Betätigung der beiden Regulatoren für die äusseren Triebwerke genügte. Doch wir hatten auch sonst genug zu tun, denn den engen Formationsflug mit einer vollbeladenen Maschine hatten wir in den USA nie trainiert. Ehrlich – „Vonnie Gal“ hat uns auf den ersten paar Einsätzen ganz schön zur Verzweiflung gebracht! Bei unserem vierten Flug am 25. Mai verklemmte sich dazu noch ein Teil der Bombenlast und ich flog für einige Zeit ausserhalb der Formation. Erst nach einigen Basteleien an der Aufhängung konnten wir uns über Sarreguemines der restlichen „Eier“ entledigen. La Monts Crew flog mit „Vonnie Gal“ sieben- oder achtunzwanzig Missionen. Viele dieser Einsätze führten nach so stark verteidigten Zielen wie München, Berlin, Paris, Bremen und Hamburg. Die Maschine erhielt im Lauf der Zeit ein zusätzliches Mg im rechten Bugraum, dazu von einer neueren, aber bereits ausgeschlachteten B-17G geschlossene Seitenstände für die Schützen. Dies alles bildete nur einen Teil der Modifikationen, welche unter Leitung des versierten Master Sergeant Owens ausgeführt werden musste. Jack La Mont beschreibt den Flug nach Leipzig am 7. Juli 1944 als den haarstreubendsten seiner total zweiunddreissig Einsätze: Wir flogen schon früher durch schweres Flabfeuer, aber Leipzig war die Hölle. Vor dem Ziel setzten die Nazis eine undurchdringliche Flabbarriere. Mein Co-Pilot schrie durch die Bordverständigungsanlage: „Verdammt das schaffen wir nie, jetzt ist Schluss mit uns“ und mein Bombenschütze Delmire Brown gestand mir später, dass er während dieser grauenvollen Minuten mehr gebetet hatte als in seinem ganzen Leben zuvor. Flabgeschosse krepierten hautnah neben uns und schüttelten unsere Maschine jämmerlich durcheinander.

49 Bomben symbolisieren die letzten 49 Einsätze. (288_1)

49 Bomben symbolisieren die letzten 49 Einsätze. (288_1)

Die krachenden Einschläge der Granatsplitter konnten wir deutlich vernehmen. Um uns sausten getroffene Bomber in die Tiefe, allein drei Besatzungen der 379th Bomb Group kehrten nicht mehr zurück. Bald machte sich ein lästiger Benzingeruch an Bord bemerkbar. Unsere Tanks mussten auch Treffer abbekommen haben und ausnahmsweise untersagte ich meiner Crew das Rauchen. Uns alle beschlich ein mulmiges Gefühl. Wird es mit dem Sprit bis nach Hause reichen? Nun, wie gewohnt brachte auch diesmal „Vonnie Gal“ ihre Besatzung sicher nach Kimbolton zurück. Dort zählte man über hundert Einschläge durch Flabsplitter. Sergeant Owen und seinen Boys standen einige arbeitsreiche Tage bevor. Sie mussten ein Triebwerk, zwei Propeller, alle Treibstofftanks und beide äusseren Tragflächenhälften ersetzen. Am 16. Juli absolvierte die Besatzung von Jack La Mont ihren letzten Einsatz und durfte kurz darauf die Rückreise in die Staaten antreten. Zu ihrer fünfzigsten und letzten Mission am 20. Juli 1944, einem Donnerstag, erhielt „Vonnie Gal“ eine unerfahrene Besatzung zugeteilt, welche über Leipzig ihre Feuertaufe bestehen sollte. Tausendeinhundertzweiundsiebzig B-17 und B-24 sollten der Treibstoff- und Schwerindustrie des Dritten Reiches einen schweren Schlag versetzen. Zusammen mit anderen Verbänden der 1. Luftdivision griff die 379th Bomb Group die Kugellager-Werke von Leipzig an. Zur gleichen Zeit belegte die 15th US-Luftflotte aus Italien Friedrichshafen und Memmingen mit Bomben. Dieser kluge Einsatzplan verwirrte die Deutschen und splitterte ihre Kräfte auf. Der 20. Juli blieb an Ereignissen nicht arm. Da scheiterte das Attentat führender Offiziere der Wehrmacht gegen den Führer Adolf Hitler und die leichte Flab schoss westlich von Koblenz bei Bassenheim den mit achtundzwanzig Luftsiegen erfolgreichsten amerikanischen Jagdflieger, Oberstleutnant Francis S. Gabreski ab. Es blieb auch der einzige Tag, wo Flugzeuge der 8. und 15. Luftflotte gleichzeitig in der Schweiz landeten. Beide Flotten beklagten zusammen neunundzwanzig Verluste, demgegenüber standen fünfzehn Ausfälle des Gegners. Zwischen 10.11 und 10.33 Uhr entledigten sich einhundertundeine „Fliegende Festungen“ ihrer Bomben über Leipzig und dem benachbarten Mockau. Die zurückkehrenden Besatzungen bezeichneten das deutsche Abwehrfeuer über der Stadt als sehr intensiv und äusserst genau. Acht Festungen fielen der Flab zum Opfer, während das JG 300 mit seinen Messerschmitt Bf 109G beim Rückflug weitere sieben Amerikaner abschoss.

Zwischen den Buchstaben F und O ist das Staffelkennzeichen erkennbar. (289_3)

Zwischen den Buchstaben F und O ist das Staffelkennzeichen erkennbar. (289_3)

Über dem Ziel löste sich „Vonnie Gal“ von ihrer Formation und drehte gegen Süden ab. Alle Versuche mit dem Bomber in Kontakt zu treten, schlugen fehl. Mit völlig normal arbeitenden Triebwerken und ohne sichtbare Beschädigung entschwand die Maschine langsam aber sicher aus dem Blickfeld. Jack La Mont: Nach der Rückkehr berichteten die Crews sehr ausführlich über den mysteriösen Abgang meines Bombers. Erst nach vierzig Jahren habe ich vom Sohn meines nun leider verstorbenen Bombenschützen Delmire Brown erfahren, dass „Vonnie Gal“ in der Schweiz sicher den Krieg überlebt hatte!. „Vonnie Gal“ schmuggelte sich ohne Jagdschutz über lange 600 Kilometer an allen deutschen Fliegerabwehrstellungen und Jägern vorbei in die Schweiz. Doch was war an Bord geschehen? Die Besatzung hatte mit Sicherheit die gleichen Probleme wie La Monts Crew. Sie hatte keine Erfahrung mit der für sie neuen mechanischen Kompressorregulation und möglicherweise hatte sie auch niemand auf dieses alte System aufmerksam gemacht. Kommandant William Moore und Co-Pilot Rex Carpentier kamen sehr schnell in Schwierigkeiten. Als dann über Leipzig ein Granatsplitter einen Teil der Instrumente und das Kompressorbedienungsgestänge beschädigte, geriet der Bomber für einige Zeit völlig ausser Kontrolle.

Die parkierte "Vonnie Gal" zwischen den andern Bombern auf dem Park des Flugplatzes Dübendorf. (289_2)

Die parkierte „Vonnie Gal“ zwischen den andern Bombern auf dem Park des Flugplatzes Dübendorf. (289_2)

Die Unerfahrenheit und der deutsche Beschuss mussten zum Chaos an Bord geführt haben, welches wohl den Gedanken aufkommen liess, sich vom Krieg diskret Richtung Schweiz zu verabschieden. Um 12.55 Uhr setzte die B-17F mit dem Kennzeichen FO-G von Norden her kommend auf dem Flugfeld von Payerne sicher auf. Die unverletzte Besatzung – neben den Piloten Moore und Carpentier Bombenschütze Donald McIntyre, Navigator Jerry Barbar, Funker Richard Fowlkes, Bordmechaniker Edward Fairclough sowie die Schützen Don Zupan, Seth Stewart und Jack Kibler – gab dann dem Schweizer Vernehmungsoffizier an, wegen Treibstoffmangels über Süddeutschland in die Schweiz gekommen zu sein. Doch befanden sich nach der Landung immerhin noch 1’800 Liter Benzin in den Tanks. Abgesehen von den zerstörten Instrumenten und einigen kleinen Einschlägen in Rumpf und Flügel konnten keine weiteren Beschädigungen festgestellt werden. Am 25. September 1945 überführte eine amerikanische Besatzung den Bomber nach Burtonwood in England.


Ereignissdatum 20.7.1944
Ort Payerne
Kanton VD
Ereignis Landung
Nation Amerika
Flugzeugart Bomber
Flugzeugtyp B-17 Flying Fortress
Flugzeugbezeichnung B-17 G-5-DL
Flugzeug-Spitzname Vonnie Gal
Einteilung 8th Air Force, 379th Bomb Group, 526th Squadron
Basis Kimbolton (GB)
Auftrag Bombardierung
Einsatzziel Leipzig (D)
Rückkehr 25.09.1945 Rückkehr nach Burtonwood (GB)
Werknummer 42-3524
Kennzeichen FO-G
CH Archiv Nr. A112
US MACR Nr. 7838
Besatzung Pilot: William F. Moore, 2nd Lt
Copilot: Rex H. Carpenter, 2nd Lt
Navigator: Jerry V. Barber, 2nd Lt
Bombardier: Donald K. Mac Intyre, 2nd Lt
Engineer: Edward S. Fairclough, S/Sgt
Radio: Richard D. Fowlkes, S/Sgt
Ball Turret: Don J. Zupan, Sgt
Waist Gunner: Seth R. Stewart, Sgt
Tail Gunner: Jack W. Kibler, Sgt
Quelle Cockpit
Autor Hans-Heiri Stapfer