Flüchtete Hitler in die Schweiz?
Die Maschine mit dem Kennzeichen DL+NT diente dem Mufti von Jerusalem Amin el-Husseini zur Flucht in die Schweiz und landete in Bern-Belpmoos. Am 02.04.1946 wurde das Flugzeug durch die Schweizer Fliegertruppe als B-3 übernommen und im Jahre 1955 verschrottet.
Die Landung einer zweimotorigen Siebel Si 204 am vorletzten Kriegstag in Bern-Belpmoos war von erheblicher politischer Brisanz für die Schweiz gekennzeichnet.Anfang Mai 1945 zeichnete sich der endgültige Zusammenbruch des „Dritten Reiches“ an allen Fronten ab. Am 29.April 1945 wurde in Caserta die Kapitulation der deutschen Heeresgruppe in Italien unterzeichnet. Partisanen stellten den „Duce“ Benito Mussolini zusammen mit seiner Geliebten Clara Petacci auf der Flucht in die Schweiz und exekutierten beide auf der Stelle.Am 2. Mai kapitulierten die Reste der zur Verteidigung Berlins herangezogenen Kräfte der deutschen Wehrmacht vor der siegreichen Roten Armee. Teilverbände der Wehrmacht streckten vor der erdrückenden Übermacht des Gegners an allen Fronten die Waffen und versuchten, sich vor den Sowjets flüchtend auf amerikanisch- oder britisch besetztes Gebiet zu retten.Das sich abzeichnende Kriegsende brachte auch vor unserer Nordgrenze ein Abflauen der Kampftätigkeit. Nachdem die 1.Französische Armee unter General de Lattre de Tassigny das Gebiet um den Bodensee unter ihrer Kontrolle hatte und weiter Richtung Kempten vorstiess, war die Gefahr eines Durchbruchs alliierter oder deutscher Truppen über die Schweizergrenze gebannt.
Die von Grossadmiral Dönitz in Flensburg geführte letzte Regierung des Dritten Reiches wurde von der Schweiz nicht mehr anerkannt, in der Folge wurde am 5. Mai 1945 der eidgenössische Gesandte aus Deutschland abberufen. Die Anzahl von Grenzverletzungen durch fremde Flugzeuge ging im Mai, gemessen am Vormonat, markant zurück. Waren es im April noch 650 vom Meldedienst beobachtete Überflüge gewesen, sank ihre Zahl im Mai auf 67 ab. Zwei Besatzungen der deutschen Luftwaffe gelang im letzten Kriegsmonat noch der Einflug in die Schweiz. Neben der am 7. Mai 1945 in Bern-Belpmoos internierten Siebel Si 204D-1 landete tags darauf in Chur noch eine Fieseler Fi 158C-3 Storch. Die Landung eines Passagierflugzeuges ohne jegliche Hoheitskennzeichen um 13.16 Uhr in Bern-Belpmoos liess natürlich die Gerüchteküche in der Schweiz hochbrodeln. Obwohl der deutsche Rundfunk am 1.Mai – einen Tag nach Hitlers Selbstmord im Führerbunker in Berlin – das Ableben des Diktators bekanntgab, hielt sich bei der einheimischen Bevölkerung hartnäckig die Überzeugung, dass sich Adolf Hitler in die Schweiz absetzen könnte.
Mit dem Anflug der Siebel Si 204 auf das Belpmoos wurde letztmals im Zweiten Weltkrieg Fliegeralarm für die Bundeshauptstadt gegeben. Kurz nach der Landung wurde die zweiköpfige Besatzung und die drei Passagiere zur eingehenden Befragung durch den Nachrichtendienst in Gewahrsam genommen. Dabei wurde klar, welch hochkarätige Persönlichkeit des Dritten Reiches in der Schweiz Schutz vor den Alliierten gesucht hatte.Amin el-Husseini, Mufti von Jerusalem und Hitlers radikaler arabischer Bundesgenosse, galt als Führer der Palästinenser. Er genoss zu Kriegsbeginn auch bei vielen Moslems im damaligen britischen und französischen Mandatsgebiet grosses Ansehen. Nationalsozialistische Prinzipien wie ordnende Macht, Gehorsam, Disziplin und natürlich Judenhass galten für ihn als Berührungspunkte zwischen dem Islam und dem Nationalsozialismus.Kaum hatte Adolf Hitler im Jahre 1933 die Macht übernommen, knüpfte Amin el-Husseini auch schon die ersten diplomatischen Kontakte mit Berlin an. Aber erst, als sich das Blatt zu ungunsten der Achsenmächte gewendet hatte, willigte das Dritte Reich in eine intensive Zusammenarbeit ein.Nachdem am 6. April 1941 deutsche und ungarische Truppen in Jugoslawien einmarschiert waren und am 10. April 1941 unter Einwirkung Hitlers und Mussolinis der „Unabhängige Staat Kroatien“ proklamiert worden war, herrschte im Vielvölkerstaat Jugoslawien bald einmal der totale Partisanenkrieg, wobei die verschiedenen Gruppen, je nach Kriegslage, mal miteinander, mal gegeneinander kämpfen.
Auf Initiative des Muftis von Jerusalem kam es zur Aufstellung der moslemischen Waffen-SS-Division Handschar, welche aus bosnischen, kroatischen und albanischen Freiwilligen bestand. Schon früher, ab Dezember 1941, waren moslemische Einheiten aus dem Kaukasus und Aserbaidschan in die deutsche Wehrmacht eingegliedert worden.In zahlreichen Radioansprachen rief der arabische Führer seine islamischen Glaubensgenossen zu Ungehorsam und zu Sabotageakten gegen die Alliierten auf. Seine Botschaft wurde im Mittleren Osten und Nordafrika befolgt, nicht aber bei den Mohammedanern in Indien. Wiederholt forderte der Mufti auch die Bombardierung von Jerusalem und Tel Aviv durch die deutsche Luftwaffe. Der Mufti von Jerusalem liess sich seinen wohlwollenden Einfluss auf die arabische Welt im wahrsten Sinn des Wortes vergolden. Während der letzten drei Kriegsjahre bezog er monatlich an die 90’000 Reichsmark, der grösste Teil davon in US-Dollar oder Gold. Einen Teil seiner Einkommen schleuste Amin el-Husseini dank seiner ausgezeichneten Verbindungen auch in die Schweiz, ebenfalls liessen sich Zahlungen des Auswärtigen Amtes in Berlin an Fauzi Qawuqji und Chekib Arslan, zwei in der Schweiz lebende Araber, nachweisen.
Aufgrund der dramatischen Kriegsereignisse war der Mufti von Jerusalem gezwungen, seine luxuriöse Residenz in der Reichshauptstadt zu verlassen und sich nach Klagenfurt zu begeben. Doch auch in Österreich konnte sich der Mufti nicht in Sicherheit wiegen. Am 28. April 1945 überschritten die Spitzen der 7. US-Armee die österreichische Grenze und nahmen, von der 12th Air Force unterstützt, am 4. Mai Salzburg ein. Auf ausdrückliche Weisung des Auswärtigen Amtes sollte der arabische Führer in die Schweiz ausgeflogen werden. Zuvor liess sich Amin el-Husseini nochmals 50’000 Reichsmark „Taschengeld“ überweisen. Die bei den Siebel-Flugzeugwerken in Halle gefertigte Siebel Si 204D-1 mit den Stammkennzeichen DL+NT wurde dem Mufti vom stellvertretenden Flugplatzkommandanten Major Könke als persönliche Reisemaschine übergeben. Sie hatte vorher als Trainer zur Blindflugschulung Verwendung gefunden. Der Tarnanstrich bestand aus dunkelgrünen Oberseiten und hellblauen Unterseiten. Das schwarze Stammkennzeichen DL+NT war dünn weiss umrandet. Das später im Schulungsbetrieb übermalte gelbe Rumpfband liess auf eine Verwendung der Maschine an der Ostfront schliessen. Die deutsche Besatzung unter Hauptmann Burkhardt war vor der Evakuierung des Muftis formell aus der Wehrmacht entlassen und in den Dienst des arabischen Führers gestellt worden. Am 7. Mai, dem Tag des Abfluges in die Schweiz, vereinigten sich auf österreichischem Gebiet die 3. US-Armee bei Strengbergen mit der 3. Ukrainischen Front der Roten Armee.
Für den Mufti war es nun wirklich fünf vor zwölf geworden! Kurz vor dem Start in die neutrale Schweiz übermalte die Besatzung noch die Hoheitskennzeichen und das Hakenkreuz, während zwei parallel um den Rumpf angebrachte gelbe Streifen sowie der auf dem Seitenruder rechts aussen aufschablonierte Buchstabe „B“ unberührt blieben. Der Flug von Klagenfurt in die Schweiz verlief trotz der drückenden alliierten Luftüberlegenheit reibungslos, so dass alle Besatzungsmitglieder unverletzt in Gewahrsam genommen werden konnten. Nach der Landung befanden sich immerhin noch 250 Liter Treibstoff in den Tanks der Siebel. Persona non grata Die Schweiz entledigte sich schon bald des unerwünschten Gastes und übergab den arabischen Führer in Konstanz den Franzosen. Da Briten und Franzosen auf das immer noch vorhandene grosse Ansehen des Muftis unter den Arabern bauten, um damit ihre eigenen Ziele im Nahen Osten und in Nordafrika zu realisieren, wurde darauf verzichtet, Amin el-Husseini einen Prozess zu machen. Das Begehren Jugoslawiens, den Mufti auf die Liste der Kriegsverbrecher zu setzen, nahm das Land, wohl auf Druck der Arabischen Liga, später wieder zurück. Mit gefälschten Personalien gelangte der Mufti im Mai 1946 unerkannt nach Kairo. Sein politischer Stern in der arabischen Welt verblasste jedoch in den ersten Nachkriegsjahren.
Er verstarb am 4. Juli 1974 in seinem Exil im Libanon. Am 9. Mai 1945, nach dem Ende der Kampfhandlungen in Europa, überflog eine Besatzung der Schweizer Fliegertruppe die Siebel Si 204D-1 zur Überholung nach Dübendorf. Für diesen Flug erhielt die Maschine die seit dem 16. September 1944 gültigen Neutralitätskennzeichen. An Rumpf und Tragflächen mussten neben den sonst üblichen Hoheitskennzeichen je zwei rote und weisse Bänder aufgemalt werden. Die persönliche Reisemaschine des Muftis befand sich in einem schlechten Zustand, was auf die mangelhafte Wartung der Siebel in den letzten Kriegsmonaten zurückzuführen war. Das linke Seitenleitwerk wies drei Einschüsse auf, und die Trimmklappe des Höhenruders war eingedrückt. Die Funkanlage bestand aus einem FuG 10. Wie zahlreiche in der Schweiz internierte Flugzeuge der ehemaligen deutschen Luftwaffe konnte auch die Si 204 von der alliierten Kontrollkommission käuflich erworben werden. Nach einer Grundüberholung der Zelle sowie der beiden Argus As-411 Reihenmotoren konnte die Maschine mit der Registration B-3 bei unserer Fliegertruppe eingegliedert und für Transportaufgaben sowie zur Blindflugschulung verwendet werden. Periodische Kontrollen förderten dann 1955 Ermüdungsrisse an der Zelle zutage, worauf die Siebel sofort ausser Dienst gestellt und später verschrottet wurde. Das linke Argus-Triebwerk mit der Werknummer 116412 gelangte für Studienzwecke an die ETH Zürich.
Ereignissdatum | 7.5.1945 |
Ereignisszeit | 13.16 |
Ort | Bern |
Kanton | BE |
Ereignis | Landung |
Nation | Deutschland |
Flugzeugart | Transporter |
Flugzeugtyp | Siebel Si 204 D |
Flugzeugbezeichnung | Siebel Si 204 D-1 |
Basis | Klagenfurt (D) |
Auftrag | Transport |
Einsatzziel | Bern |
Rückkehr | Übernahme durch die Schweiz |
Kennzeichen | DL+NT |
CH Archiv Nr. | D058 |
Besatzung |
Quelle | Fremde Flugzeuge in der Schweiz |
Autor | Theo Wilhelm |