Ereignisse

Rauch aus dem Bombenschacht

Der Bomber mit dem Kennzeichen OR-Q und dem Übernamen „Champagne Girl“ ist nach einem Einsatz über Lechfeld in Obersaxen abgestürzt und in der Schweiz verschrottet worden.

Die Absturzstelle der "Champagne Girl" bei Obersaxen. (283_2)

Die Absturzstelle der „Champagne Girl“ bei Obersaxen. (283_2)

Der Bomber der 8th Air Force, 91st Bomb Group mit dem Kennzeichen OR-Q und dem Übernamen „Champagne Girl“ ist nach einem Einsatz über Lechfeld in Obersaxen abgestürzt und in der Schweiz verschrottet worden. Der Tag hatte auf dem Stützpunkt der im südenglischen Bassingbourne stationierten, amerikanischen 91st Bomb Group ganz normal begonnen. Um 2.00 Uhr war Tagwache, danach Frühstück und anschliessend wurden die Briefings durchgeführt. Das Angriffsziel wurde jeweils erst am Schluss bekanntgegeben. Am heutigen Tag sollten über tausend viermotorige Bomber aus ganz England in die Luft gebracht werden. 700 Jagdflugzeuge sollten den Pulk mit dem Ziel Süddeutschland zum Schutz begleiten. Die Flugzeuge wurden bereits vorher für diese Mission vorbereitet. Ziele in Süddeutschland bedeuteten in der Regel einen zehnstündigen Flug. Die Mannschaft von 1st Lt Cyril J. Braund setzte sich aus acht weiteren Mitgliedern zusammen. Da war Copilot John Sykes, Navigator Kenneth N. Boltz, Bombenschütze John Grubka, Bordmech Donald J. McBey, Funker William W. Bridges und die Schützen Robert W. Lockard, Carl C. McCarrell und Clifford Johnson. Für diese Crew war dies der dreizehnte Einsatz, aber erst der vierte der sie nach Deutschland führte. An der „Champagne Girl“ wurden noch in den letzten Tagen die Triebwerke ausgewechselt. Das Flugzeug hatte bereits dreissig Einsätze hinter sich. Diesmal sollte Cyril J. Braund in der Leaderposition eine Gruppe von sechs Flugzeugen nach Süddeutschland führen.

Die Offiziere im Davoser Hof Pub. Von links nach rechts: Copilot 2nd Lt John Sykes, Navigator 2nd Lt Kenneth N. Bolz, der schweizerdeutsch sprach und Pilot 1st Lt Cyril Braund. (284_1)

Die Offiziere im Davoser Hof Pub. Von links nach rechts: Copilot 2nd Lt John Sykes, Navigator 2nd Lt Kenneth N. Bolz, der schweizerdeutsch sprach und Pilot 1st Lt Cyril Braund. (284_1)

Um 5.00 Uhr starteten die ersten Flugzeuge und gegen 6.30 Uhr, nach dem Zusammenschluss mit anderen Einheiten, konnte endlich Richtung Holland geflogen werden. Auf dem Weg von Holland nach Süddeutschland mussten mehrere Kurswechsel vorgenommen werden, weil man Gebiete mit starker Fliegerabwehr meiden wollte. Zudem sollte dem Gegner das Angriffsziel möglichst spät preisgegeben werden. Angriffsziel war diesmal der Flugplatz Lechfeld, etwas südlich von Augsburg. Dies war der Erprobungsflugplatz des strahlgetriebenen Jägers Me-262. Da die Bombenschachttore der „Champagne Girl“ schon früher Probleme machten, wurden sie auch diesmal etwa 50 km vor dem Ziel probeweise geöffnet und wieder geschlossen. Die Tore funktionierten einwandfrei, aber schon bald drang Rauch aus dem Bombenschacht ins Cockpit. Der Antriebsmotor der Bombenschachtklappen war in Brand geraten und während der Bordmechaniker versuchte das Feuer zu löschen, wechselte die Formation ein letztes Mal den Kurs und begann mit dem Anflug auf Lechfeld. Bei diesem Manöver hatte die rechts neben der „Champagne Girl“ fliegende „Bunky“ (42-31542) grosse Probleme. John Sykes sah die „Bunky“ im letzten Moment auf sich zu fliegen. Er konnte eine Kollision nicht mehr verhindern. Mit grosser Wucht prallte die „Bunky“ auf die „Champagne Girl“ und brach auseinander. Beide Teile des Flugzeuges verschwanden trudelnd in den Wolken. Bei diesem Absturz kam die ganze Besatzung der „Bunky“ ums Leben. Auch die „Champagne Girl“ stürzte in einer Vrille dem Erdboden entgegen. Die Beschleunigung war so hoch, dass die Besatzungsmitglieder an Boden und Wände gepresst wurden. So konnten sie nicht zu ihren Ausgängen fliehen und abspringen. Normalerweise gab es für eine B-17 mit voller Bombenlast kein Entrinnen aus einer solchen Fluglage. Doch irgendwie schafften es Braund und Sykes das Flugzeug auf etwa 6000 Metern wieder unter Kontrolle zu bringen. Die „Champagne Girl“ war stark angeschlagen, Triebwerk Nummer 4 war ausgefallen, Motor Nummer 3 drehte mit halber Leistung und verbogenem Propeller, die Flügelvorderkante fehlte ganz und vom Querruder fehlte ein grosses Stück. Die Besatzung gab die Hoffnung auf eine Rückkehr nach England rasch auf, verlor doch die Maschine rasch an Höhe. Navigator Boltz berechnete dem Piloten einen Kurs in die Schweiz. Die übrigen Flugzeuge setzten ihren Angriff fort und „Champagne Girl“ setzte alles daran, die Bombenlast so schnell wie möglich abzuwerfen. Auch alles Andere, was an Bord nicht mehr gebraucht wurde, warf die Besatzung über Bord. Trotzdem konnte Braund die Höhe nicht halten. Normalerweise konnte der Kugelturm einer B-17 abgeworfen werden, doch alle Versuche das Ding loszuwerden schlugen fehl.

Die "Champagne Girl" in der Lead-Position unten rechts auf einer ihrer Missionen. (284_2)

Die „Champagne Girl“ in der Lead-Position unten rechts auf einer ihrer Missionen. (284_2)

Um 9.17 wurde der Einflug der „Champagne Girl“ bei Altsätten von der Schweizer Armee beobachtet. Da die Besatzung den Grenzverlauf nicht kannte, flogen sie so weit wie möglich dem Rhein entlang nach Süden. Immer noch Höhe verlierend war es unmöglich die Maschine über die Alpen zu bringen. Als Braund keine Chance mehr sah, gab er den Befehl zum Absprung. Als alle das Flugzeug verlassen hatten, verliess auch Braund die Maschine. Braund sah noch am Fallschirm hängend, wie seine B-17 bei Obersaxen in einen Berghang krachte und explodierte. Die Besatzung landete unversehrt im Vorderrheintal, wo sie vom Schweizer Militär eingesammelt und nach Ilanz gebracht wurde. Nach den üblichen Verhören durch die Schweizer Behörden wurde die Besatzung in Davos und Wengen interniert. Donald McBey und William Bridges gelang die Flucht aus der Schweiz nicht, sie wurden beide kurz vor der Grenze wieder geschnappt. Braund und Grubka gelang es über Frankreich nach England zu flüchten. Von der 91st Bomb Group kehrte gerade eine Maschine nach England zurück. Die Bewaffnung des Bombers wurde geborgen und auf Pferden ins Tal gebracht. Der Senn der Oberhitta Griana der Inneralp, Alois Schwarz-Alig erzählte: Setzel Melchior Alig und ich waren an diesem Freitagmorgen um 10.30 Uhr beim Käsen. Plötzlich ein tiefes Brummen, ein scharf stechender Pfiff und fast gleichzeitig ein dumpfer Knall und eine Explosion. Als wir vor die Alphütte traten, sahen wir Metallstücke in der Luft herumschwirren. Ein Flugzeug war etwa 20 Meter oberhalb eines Felsen am Südosthang des Titschalrückens, etwa 200 Meter von unserer Hütte entfernt abgestürzt. Wir waren wie gelähmt und wussten kaum, was wir unternehmen sollten. Gab es Überlebende oder folgten weitere Explosionen? Schon eine Stunde nach dem Absturz waren fünf Heerespolizisten zur Stelle und wir überliessen ihnen alles Weitere. Am Sonntag trafen Spezialisten aus Dübendorf ein, welche die schweren Trümmerstücke sprengten und vergruben. In der Zwischenzeit erfuhren wir, dass sich die Besatzung retten konnte und das Flugzeug ohne Bomben, jedoch mit viel Munition, abgestürzt war.


Ereignissdatum 19.7.1944
Ort Obersaxen
Kanton GR
Ereignis Absturz
Nation Amerika
Flugzeugart Bomber
Flugzeugtyp B-17 Flying Fortress
Flugzeugbezeichnung B-17 G-35-DL
Flugzeug-Spitzname Champagne Girl
Einteilung 8th Air Force, 91st Bomb Group, 323rd Squadron
Basis Bassingbourn (GB)
Auftrag Bombardierung
Einsatzziel Lechfeld (D)
Rückkehr in der Schweiz verschrottet
Werknummer 42-107075
Kennzeichen OR-Q
CH Archiv Nr. A109
US MACR Nr. 7407
Besatzung Pilot: Cyril J. Braund, 1st Lt
Copilot: John Sykes, 2nd Lt
Navigator: Kenneth N. Boltz, 2nd Lt
Bombardier: John Grubka, 2nd Lt
Engineer: Donald J. McBey, S/Sgt
Radio: William W. Bridges, S/Sgt
Ball Turret: Robert W. Lockard, Sgt
Waist Gunner: Carl C. McCarrell, Pvt
Tail Gunner: Clifford Johnson, Sgt
Quelle Cockpit
Autor Stefan Naef