Ereignisse

Täuschende Schweizerkreuze?

Ein amerikanischer Bomber, der sich in der Schweiz in Sicherheit bringen wollte, landete irrtümlich in unmittelbarer Nähe der Grenze auf deutschem Boden. Kurz darauf kursierte das Gerücht, die Deutschen hätten mit Tüchern ein Schweizer Kreuz ausgelegt, um den Bomber zu dieser Landung zu verleiten.

Die Maschine war ein beliebtes Ausflugsziel und Fotosujet fürs Familienalbum.

Drei Tage nach der alliierten Invasion auf dem europäischen Festland scheint die Sonne von einem strahlend blauen Himmel auf das Flugfeld von Giulia im südlichen Italien. Die amerikanische 459. Bombergruppe belegt diesen Platz seit Februar 1944 und hat schon 55 Einsätze gegen Ziele in Südosteuropa geflogen. Der nächste Einsatz soll die Gruppe zum ersten Mal über deutsches Reichsgebiet bringen. Schon vor dem Ziel Schleissheim-München werden drei B-24 abgeschossen. Auf dem Rückflug lösen sich in der Nähe von Innsbruck einige Liberators aus dem Verband und geraten in heftiges Flakfeuer. Während eine von der Besatzung aufgegebene Maschine kurz darauf abstürzt, versucht eine andere beschädigte Liberator mit dem Übernamen „Cherry II“ (Fabrikationsnummer 42-78106) über Vorarlberg die Schweiz zu erreichen. Von Bludenz herkommend überfliegt sie Feldkirch, Dornbirn und kreist im östlichen Bodenseegebiet. Allem Anschein nach hält der Pilot Ausschau nach einem sicheren Landeplatz. Da der Verlauf des neuen Rheins zwischen St.Margrethen und Bodensee für Ortunkundige als Landesgrenze angesehen werden kann, befindet sich der Segelflugplatz „Rinnsal“ bei Gaissau-Höchst in der Wahrnehmung des Navigators und des Piloten auf der richtigen, sprich Schweizer Seite. Mit einem stehenden Motor landet die B-24 kurz vor Mittag auf dem kleinen Flugfeld. Sofort nach dem Verlassen der Maschine verbrennt die Besatzung alle wichtigen Unterlagen, da dies auch bei der Landung auf neutralem Boden Vorschrift ist. Während dieser Aktion taucht der deutsche Grenzschutz auf und nimmt die völlig überraschte zehnköpfige Besatzung gefangen.

Militärorgane und Behörden inspizierten die B-24 Liberator ausgiebig.


Das Schicksal der Besatzung der „Cherry II“

Am Nachmittag des 9. Juni 1944 wird die Mannschaft mit hinter dem Kopf verschränkten Händen nach Höchst zum Vereinshaus in der Ortsmitte geführt, wo der Grenzschutz untergebracht war. Stalag Luft 3 im schlesischen Sagan wird zum Bestimmungsort der Offiziere. Im Dezember 1944 werden sie zusammen mit 2’000 anderen Kriegsgefangenen Richtung Westen nach Dresden getriebenum die Befreiung durch die schnell vorrückenden Russen zu verhindern. In Viehwagons gepfercht erreichen sie nach einer eiskalten Nacht München, von wo sie weiter zum Stalag 7A nach Moosburg gebracht werden. Dort warten schon seit dem Sommer 1944 die übrigen Besatzungsmitglieder auf das Kriegsende. Am 29. April 1945 befreiten die Truppen General Pattons das Lager.

Grosser Aufmarsch der Zivilbevölkerung. Es war die einzige amerikanische Maschine, die in Vorarlberg landete.


Wilde Gerüchte und Spekulationen …

Da die Fernsicht an diesem prächtigen 9. Juni aussergewöhnlich gut war, blieb der Vorfall auf Schweizer Seite nicht unbemerkt. Gerade von den Höhen des Appenzeller Vorlandes konnten gewisse Vorgänge jenseits der nahen Grenze gut wahrgenommen werden. So verbreiteten sich schnell Gerüchte, wonach die auf dem Flugfeld stationierte Segelflugmannschaft – alles junge, minderjährige Burschen – nicht nur Leuchtraketen abgeschossen hätten, um das Flugzeug zur Landung zu veranlassen, sondern dazu auch das Schweizer Kreuz missbräuchlich verwendet hätten. Abgefeuerte Schüsse, die man diesseits der Grenze vernehmen konnte, wurden dahingehend interpretiert, dass anscheinend einige Besatzungsmitglieder gleich nach der Landung erschossen worden seien. Das Gaissauer Frauen die Amerikaner verprügelt hätten, wie ein Wirtshausgast zu wissen vorgab, wurde bald als reine Erfindung entlarvt. Andererseits hatte Propagandaminister Goebbels keine zwei Wochen zuvor in einem Leitartikel des „Völkischen Beobachters“ die deutsche Bevölkerung zur Lynchjustiz an US-Terrorfliegern aufgefordert. Und wenige Tage später konnte man im neutralen Ausland – im „Svensk Dagbladed“ vom 31. Mai 1944 – von einem derartigen Vorfall lesen.

Die politische Abteilung der Kantonspolizei St.Gallen erhielt den Auftrag, den tatsächlichen Sachverhalt betreffs „illegaler Verwendung von schweizerischen Hoheitszeichen“ abzuklären. Glücklicherweise waren an diesem warmen Sommertag einige Schweizer Landwirte auf ihren Feldern jenseits der Grenze am Heuen. Einer beobachtete, wie die Segelflugschüler ihre leichten Fluggeräte vom Platz räumten und grüne Leuchtraketen in die Luft schossen, als der Bomber schon ziemlich niedrig über dem Rheindelta kreiste. Nach der Landung sei die Besatzung seelenruhig ausgestiegen, hätten irgendetwas verbrannt, Zigaretten angezündet und mit den Händen in den Hosentaschen gewartet. Als deutsches Militär auftauchte, seien die Amerikaner furchtbar erschrocken. Während dieser Zeuge nicht von schweizerischen Hoheitszeichen bemerkt haben will, gab ein anderer zu Protokoll, dass sehr wohl rot-weisse Tücher in der Nähe des Flugfeldes zu sehen gewesen wären. Ob es sich nur um Stoffbahnen der Flugfeldmarkierung gehandelt habe, vermochte er nicht zu sagen. Nicht ganz auszuräumen war anscheinend der Verdacht, das Tücher so am Boden ausgebreitet waren, das sie ein Schweizer Kreuz bildeten.

Tarnnetze über der Flugzeugnase?


… aber kein Schweizer Protest

Angesichts der nicht ganz eindeutigen Untersuchungsergebnisse wurde von Schweizer Seite auf eine Intervention bei den deutschen Behörden verzichtet. Aufgrund einer Zeitungsmeldung in der Ostschweizer Lokalpresse war der amerikanische Nachrichtendienst informiert und konnte entsprechende Warnungen an die Piloten und Navigatoren weitergeben. Knapp einen Monat später, als München mit 1’400 Bombern angegriffen wurde, gelang einer anderen beschädigten B-24 die Flucht in die Schweiz. Aus dem Einvernahmeprotokoll erfahren wir, dass „der Pilot nach Erkennen des Bodensees die Absicht hatte, in Altenrhein zu landen. Er war davon unterrichtet worden, dass es sich hier um zwei Flugplätze handelte. Er überfolg zuerst den deutschen Flugplatz, wo für ihn ein grosses rotes Kreuz ausgelegt wurde. Auch eilten viele Leute auf das Flugfeld, um ihm zuzuwinken und ihm durch Zeichen zur Landung aufzufordern. Da der Pilot aber wusste, dass sich der schweizerische Flugplatz auf dem Westufer des Rheins befand, ging er nicht darauf ein, sondern landete in Altenrhein“.

Abgestellt vor der Fliegerhalle „Rinnsal“.


Ein halbes Jahr rumgestanden

Da diese Besetzung nicht von einer auf dem „Rinnsal“ abgestellten Viermotorigen berichtete, ist anzunehmen, dass das grosse Flugzeug in der Zwischenzeit perfekt getarnt worden war und keineswegs als „Fliegerfalle“ dienen sollte, wie gerüchteweise zu hören war. Im Segelflughangar, der noch heute steht, liess sich eine derart grosse Maschine nicht unterbringen. Erst im Winter, als der Boden gefroren war und man den zerschossenen Motor repariert hatte, konnte der von allem unnötigen Ballast befreite Bomber gestartet und auf einen grossen deutschen Flugplatz überflogen werden. Die erste Zwischenladung zur Treibstoffübernahme dürfte in Friedrichshafen stattgefunden haben. Während kurzer Zeit wurde die B-24 bei einer Spezialeinheit als „Zielscheibe“ zur Jagdfliegerausbildung eingesetzt, um Angriffsverfahren gegen Liberator-Pulks weiterzuentwickeln. Im Geheimgeschwader KG 200 erlebte sie noch einige Einsätze, bevor sie kurz vor Kriegsende auf dem Flugplatz Hildesheim gesprengt wurde.

Durch deutsche Truppen vor Kriegsende auf dem Flugplatz Hildesheim (DE) zerstört.


Ergänzung Zeitzeuge

Als vermutlich letzter überlebender Zeitzeuge ein kleiner Hinweis zur Notlandung des B-24 Bombers auf dem Flugplatz „Rinnsal“ in Höchst. Mein Vater Walter Kittelberger hatte damals die Flugzeugwerke Kittelberger in Höchst. Er baute Schulungsflugzeuge zur Pilotenausbildung für die Deutsche Wehrmacht und war ebenfalls Zulieferer für Dornier.

Ich war damals fünf Jahre alt und wir waren auf dem Flugplatz als der beschädigte Bomber angeschossen von der Flak in Innsbruck auftauchte. Der Bomber kreiste über dem Flugplatz. Wie sich heraus stellte, war das Kartenmaterial nicht genau. Wissentlich, dass in der Schweiz mehrere B-24 notgelandet sind und dieser auch da landen wollte, hatte mein Vater mich in seine Norton geladen und die Schweizer Flagge mit genommen und sie auf dem Flugplatz ausgebreitet. Sie war das Signal zur Landung. Die Mannschaft kam in Kriegsgefangenschaft wurde aber dann bei Kriegsende frei gelassen.

Dies sind meine Erinnerungen die ich so gut ich konnte wiedergegeben habe.
Quelle: Alfred Kittelberger, Forum unterirdisch.de, 7. Februar 2017


Ereignissdatum 9.6.1944
Ereignisszeit 11:30
Ort Gaissau
Kanton Vlberg (AT)
Ereignis Notlandung
Nation Amerika
Flugzeugart Bomber
Flugzeugtyp B-24 Liberator
Flugzeugbezeichnung B-24 G-10-NT
Flugzeug-Spitzname Cherry II
Einteilung 15th Air Force, 459th Bomb Group, 758th Squadron
Basis Giulia (IT)
Auftrag Bombardierung
Einsatzziel München (DE)
Rückkehr Deutsches Beuteflugzeug
Werknummer 42-78106
Kennzeichen NF + FL
CH Archiv Nr. A175
US MACR Nr. 5783
Besatzung Pilot: Herbert L. Oleson, 1st Lt., deutsche Gefangenschaft
Co-Pilot: Leo Carlton, 2nd Lt., deutsche Gefangenschaft
Navigator: John Gresby, 2nd Lt., deutsche Gefangenschaft
Bombardier: Darvin Morton, 2nd Lt., deutsche Gefangenschaft
Gunner: Thomas Caridee, S/Sgt, deutsche Gefangenschaft
Gunner: Stewart Huckler, T/Sgt, deutsche Gefangenschaft
Gunner: Daniel Donovan, S/Sgt, deutsche Gefangenschaft
Radio: Loran Taylor, T/Sgt, deutsche Gefangenschaft
Gunner: John Robson, S/Sgt, deutsche Gefangenschaft
Gunner: William Arsenault, S/Sgt, deutsche Gefangenschaft
Quelle Cockpit 6/2009
Autor Mathias Weichelt