Ereignisse

Die zweite Orientierungslose

Die Maschine mit dem Kennzeichen NW+KU landete wegen Treibstoffmangel in Bern-Belpmoos. 1946 wurde sie als J-716 in die Fliegertruppe übernommen und am 28.05.1948 ausgemustert.

Die Gelbe 9 Werknummer 7197 des Obergefreiten Scharf. (47_2)

Die Gelbe 9 Werknummer 7197 des Obergefreiten Scharf. (47_2)

Im Sommer 1942 sollten sieben generalüberholte und für den Afrikaflug modifizierte Messerschmitt Bf 109F von Le Bourget über München-Riem nach dem afrikanischen Kriegsschauplatz überflogen werden. Pilotenschüler der Ergänzungsstaffel West des Jagdgeschwaders 5 sollten unter Führung eines Offiziers die Maschinen mit Zwischenlandung in Freiburg nach München-Riem bringen. Von dort aus würden erfahrene Piloten den Weiterflug über die Alpen nach Afrika besorgen. Da nur gerade zwei Maschinen fertig waren, beauftragte man zwei Piloten aus der Gegend von Freiburg, als Vordetachement voraus zufliegen. Sie sollten so lange auf dem süddeutschen Flugplatz warten, bis der Rest eingetroffen wäre. Die freie Zeit hätten die beiden Flugzeugführer für einen kurzen Heimaturlaub nützen können.

Am späten Nachmittag des 25. Juli 1942 konnten Feldwebel Martin Villing und Obergefreiter Heinz Scharf Richtung Heimat starten. Über Frankreich wurden sie mit einer Gewitterfront konfrontiert und versuchten gegen Süden auszuweichen. Bei diesem Manöver müssen aber beide Piloten die Orientierung verloren haben, und bald wurde auch der Treibstoff knapp.
Die beiden mussten nach einem geeigneten Landeplatz Ausschau halten. Um 19.30 Uhr erspähte Martin Villing ein kleines Flugfeld unter sich und setzte kurz entschlossen zur Landung an. Martin Villing, nach dem Krieg Landwirt erinnert sich: Beim Ausrollen erblickte ich das Schweizerkreuz an einem der Segelflugzeuge und wusste, wo ich war!

Obergefreiter Scharf blieb alles nicht verborgen, er drehte ab, mit leerem Tank musste er allerdings sehr schnell seine Fluchtgedanken aufgeben. Er kehrte mit dem letzten Tropfen Benzin zurück, und dies keine Sekunde zu früh, denn kurz nach Bodenberührung versagte der Daimler-Benz-Motor wegen Spritmangels den Dienst. Auch Scharf wurde von Schweizer Soldaten in Empfang genommen und über seinen Landeort unterrichtet.

Über seinen unfreiwilligen Aufenthalt in Bern-Belp berichtete Martin Villing folgendes: Wir blieben drei Tage in Belp, einmal wurden wir in Bern einem Verhör durch etwa zwanzig Schweizer Offiziere unterzogen. Die Sache war sehr ungemütlich, wir hatten Angst, man könnte uns daheim der Fahnenflucht bezichtigen. Schliesslich konnte uns der deutsche Militärattache in der Schweiz, Oberst Gripp, beruhigen. Nach drei Tagen wurden wir in ein Hotel nach Neuenburg verlegt. Später gesellte sich noch Alfredo, ein italienischer Flieger, zu uns. Er hatte sich ebenfalls in die Schweiz verflogen. Trotz Sprachproblemen verstanden wir uns prächtig.

Die beiden Flugzeuge wurden in einem plombierten Hangar in Belp unter Bewachung abgestellt. Beide Maschinen waren von den Messerschmitt-Werken in Wiener-Neustadt gebaut worden. Diese Messerschmitt Bf 109F-4Z standen während einiger Zeit als Jagdbomber im Einsatz. Vermutlich hatten sie mit dem 10/JG 2 an Einsätzen gegen England teilgenommen.
Die von Heinz Scharf gesteuerte Bf 109F-4 mit der Werknummer 7197 und dem Kennzeichen NW+KU hatte am 9. August 1941 die Werkhallen verlassen. Nach einem Feindflug musste der Jäger wegen Benzinmangels eine Bauchlandung ausführen, später erfolgte eine zehnwöchige Reparatur im französischen Wizernes. Die Maschine von Martin Villing trug das Kennzeichen PC+JY.
Bis im Frühjahr 1943 blieben beide Maschinen unter Verschluss in Bern-Belp. Am 26. Februar 1943 wurden sie durch Vertreter der Kriegstechnischen Abteilung übernommen und unter Leitung von Adj. Uof. Urech demontiert. Auf der Strasse gelangten sie nach Emmen, wo sie wieder zusammengebaut wurden. Am 6. März 1943 erfolgte eine Besichtigung der beiden Bf 109F-4 durch die deutschen Offiziere Gripp und Stabs Ing. Mack. Ein Tauziehen um diese Maschinen begann. Die Fliegertruppe hätte die beiden „Fritz“ gerne gegen zwei Messerschmitt Bf 109E eingetauscht. Dank der Vermittlung durch Oberst Gripp zeigte sich die deutsche Luftwaffe bereit, auf diesen Wunsch einzutreten und zwei Schulmaschinen des Typs Bf 109E-7 an die Fliegertruppe abzutreten. Das Geschäft wäre auch zustande gekommen, hätten die Schweizer Behörden nicht in letzter Sekunde die Ausfuhr der internierten Jäger verboten.

Ende 1942 kam es zur ersten von zahlreichen Austauschaktionen zwischen internierten Fliegern der kriegführenden Nationen. Scharf, Villing und der am 21. September 1942 irrtümlich in Emmen gelandete italienische Pilot Alfredo Porta sollten gegen eine britische Mosquito-Besatzung ausgetauscht werden. Die beiden Briten, Pilot G.R. Woll und Navigator J. Fielden, hatten wegen Motorenüberhitzung am 24. August 1942 in Bern-Belp eine Notlandung vornehmen müssen.
Die Engländer wurden in einem verschlossenen Eisenbahnwagen durch das besetzte Frankreich nach Spanien gebracht. Nachdem die britische Botschaft die Ankunft der beiden Flieger bestätigt hatte, konnten die beiden Deutschen und Porta am 21. Dezember 1942 die Schweiz verlassen.

Woll und Fielden erreichten später England. Flight Lieutenant Woll flog am 4. Februar 1943 nach Kanada und wurde Testpilot der Mosquito-Werke, musste eine Mossie mit dem Fallschirm verlassen und wurde ebenfalls Landwirt in Kanada. Alfredo Porta fand kurze Zeit später während eines Luftkampfes mit alliierten Jägern den Tod. Heinz Scharf überschlug sich beim Alarmstart am 20. Juni 1944 mit seiner Messerschmitt Bf 109 und erlitt dabei einen Genickbruch. Nur Martin Villing überlebte von den dreien den Krieg. Er überstand den Einsatz mit dem JG 5 „Eismeerjäger“ in arktischen Gefilden genauso wie zwei Jahre französischer Kriegsgefangenschaft im berüchtigten „Camp de Mulsanne“ an der weltbekannten Rennstrecke von Le Mans.
Die beiden Messerschmitt Bf 109F wurden in Emmen einer eingehenden Prüfung unterzogen, aber zu einem Einsatz bei der Fliegertruppe kam es nie. Zwar wurden den Maschinen die Immatrikulationen J-715 und J-716 zugeteilt, aber mehr als ein paar Testflüge nach dem Krieg wurden kaum ausgeführt. Die Ausserdienststellung erfolgte am 28. Mai 1948.


Ereignissdatum 25.7.1942
Ort Belpmoos
Kanton BE
Ereignis Landung
Nation Deutschland
Flugzeugart Jäger
Flugzeugtyp Messerschmitt Bf-109
Flugzeugbezeichnung Messerschmitt Bf-109 F-4Z
Einteilung Ergänzungsstaffel West des Jagdgeschwaders 5
Basis Le Bourget (F)
Auftrag Überführungsflug
Einsatzziel München-Riem (D)
Rückkehr 1946 Übernahme durch die Schweiz und am 28.05.1948 ausgemustert
Werknummer 7197
Kennzeichen NW+KU
CH Archiv Nr. D021
Besatzung Pilot: Heinz Scharf, Obergefreiter, konnte die Schweiz wieder verlassen
Quelle Fremde Flugzeuge in der Schweiz
Autor Theo Wilhelm