Ereignisse

Kurzes Nickerchen mit Folgen

Eine deutsche Junkers verirrte sich während eines Navigationsschulfluges unter etwas aussergewöhnlichen Umständen in die Schweiz.

Die Junkers W34-hi mit dem Kennzeichen PF+TE am 25. Juli vor dem Rückflug nach Deutschland. (39_1)

Die Junkers W34-hi mit dem Kennzeichen PF+TE am 25. Juli vor dem Rückflug nach Deutschland. (39_1)

Am 24. Juli 1941 verirrte sich eine deutsche Junkers W 34-hi während eines Navigationsschulfluges unter etwas aussergewöhnlichen Umständen in die Schweiz. Ein brüskes Sturzflugmanöver vor der Landung in Dübendorf provozierte die Schweizer Flab. Eine Granate traf die unbewaffnete Junkers in der Tragfläche. Bereits einen Tag später konnte die vierköpfige Besatzung jedoch wieder zum Heimathorst Aibling in Bayern zurückkehren.

Im Sommer 1941 will der „Deutsche Führer“ Adolf Hitler seinen Traum nach „Lebensraum im Osten“ in die Tat umsetzen. Tausende von Soldaten der Wehrmacht stürmen, unterstützt von Panzerverbänden und Stukas ab dem 22. Juni siegesgewiss gegen Moskau. Nur wenige ahnen zu diesem Zeitpunkt, dass die bislang bewährte Blitzkriegstrategie in einem mörderischen russischen Winter zum Erliegen kommen wird. Während in den unendlichen Steppen der Sowjetunion ein erbitterter Kampf tobt, herrscht im Sommer 1941 rund um die Schweiz eine vergleichsweise idyllische Ruhe. Im Juli registrierte der Meldedienst der Schweizer Armee lediglich 25 Überflüge von fremden Maschinen, wovon 18 eindeutig den Achsenmächten zugeschrieben werden konnten. Nur eine einzige deutsche Schulmaschine verirrte sich in diesem Monat in die Schweiz, es war im Jahre 1941 zudem erst die zweite Landung eines ausländischen Flugzeuges.

Von der W34 hau unterscheidet sich diese in Dübendorf gelandete W34 hi durch den Zweiblatt-Propeller. (40_1)

Von der W34 hau unterscheidet sich diese in Dübendorf gelandete W34 hi durch den Zweiblatt-Propeller. (40_1)

Die Tante Ju mit einem Motor
Am Donnerstag, dem 24. Juli 1941, machte sich Oberfeldwebel Wilhelm Filsinger mit drei Flugschülern in Aibling zu einem Navigationstrainingsflug bereit. Es war ein ruhiger, beinahe ereignisloser Tag in Süddeutschland. Im Westen war Frankreich seit über einem Jahr geschlagen und der Krieg im Osten mehrere tausend Kilometer entfernt. Dennoch schrieb dieser Tag Geschichte, denn die Royal Air Force unternahm mit 149 Bombern den bisher grössten Tagangriff auf die beiden Schlachtschiffe „Gneisenau“ und „Scharnhorst“ in ihren Liegeplätzen. An der Ostfront ergab sich Josef Stalins Sohn den deutschen Truppen. Er wurde später in einem Kriegsgefangenenlager erschossen.

Doch zurück zu Wilhelm Filsinger, der sich eben dazu anschickte, seine Junkers W 34hi zu besteigen. Obwohl der zugeteilte Funker nicht erschienen war, entschloss sich der fronterfahrene Oberfeldwebel zum Start mit seiner Wellblechtante. Von den Schülern war keiner imstande, das Funkgerät zu bedienen, was eine Verständigung mit dem Heimathorst schon zum vornherein unmöglich machte. Rund drei Stunden sollte der Rundflug dauern. Im Wechsel sollten Unteroffizier Erich Breitenbach sowie die beiden Gefreiten Heinz Achilles und Karl Becker jeweils eine Stunde im Blindflug ausgebildet werden. Zu diesem Zweck war im Cockpit der W 34hi eine faltbare Haube angebracht. Nur ihren Instrumenten vertrauend, sollten die jungen Flugzeugführer für Flüge bei Nacht und Nebel geschult werden. Die drei Küken waren ursprünglich als Bodenpersonal bei der deutschen Luftwaffe ausgehoben worden und standen erst seit einem Jahr in der Ausbildung zum Piloten.

Der Flug erfolgte bei sehr wenig Erdsicht über den Wolken. Ohne eine ernsthafte Vorbereitung liess Oberfeldwebel Wilhelm Filsinger seine drei knapp über zwanzigjährigen Schüler nach verschiedenen Kompasskursen fliegen. Der fronterfahrene Kampfflieger, wohl auf seine Erfahrung bauend, verzichtete darauf, seine Route jeweils anhand von besonderen geographischen Punkten zu kontrollieren, wenn sich draussen in der Nebelsuppe ein Loch auftat. Die drei Flugschüler stammten alle aus Norddeutschland und besassen daher keinerlei Kenntnisse der Region.

Der Flabschaden an der rechten Tragfläche ist ausgebessert und die Maschine bereit für den Rückflug. (41_1)

Der Flabschaden an der rechten Tragfläche ist ausgebessert und die Maschine bereit für den Rückflug. (41_1)

Das monotone Brummen des BMW-Triebwerkes beim langen, eintönigen Flug wirkte auf den Instruktor wohl etwas einlullend. So sehr, dass er offensichtlich für geraume Zeit einnickte. Der Flugschüler bemerkte davon unter der Blindflughaube nichts, genauso wie seine sich im hinteren Rumpfteil befindlichen Kameraden.
Nach gut drei Stunden durchbrach die Junkers eine lockere Wolkenschicht. Der Kommandant war zu diesem Zeitpunkt der felsenfesten Überzeugung, in der Nähe von München zu sein. Den breiten Fluss interpretierte Flugschüler Erich Breitenbach aus Hannover als die Donau, nur der Wasserfall und die Flussschleife kamen dem Unteroffizier etwas spanisch vor. Die grosse bewaldete Fläche hingegen machte den Oberfeldwebel stutzig. „Ist das etwa der Schwarzwald mit dem Rhein?“, schoss es Wilhelm Filsinger für Sekundenbruchteile durch den Kopf. Wenige Augenblicke später näherte sich dem Blindflugtrainer ein Jagdflugzeug, das Filsinger zuerst als deutsche Messerschmitt Bf 109 ansprach und in der Folge nicht weiter beachtete. Erst als das Flugzeug zweimal die Junkers umflog, wurde die Besatzung stutzig. In diesem Augenblick bemerkte der Oberfeldwebel die auffälligen Schweizer Kennzeichen der von Karl Schicker pilotierten „Morane“. Der Offizier nahm zusammen mit drei weiteren Kameraden an einer Kampfübung in der Nähe von Winterthur teil und entdeckte beim Rückflug nach Düben¬dorf als einziger die einsame Junkers, die er auf den ersten Blick als eine eigene Ju 52 der Fliegertruppe identifizierte. Grosse Augen machte der Morane-Pilot erst, als er die beiden Flügelmotoren vergeblich suchte und gleichzeitig die deutschen Kennzeichen erkannte. Verwunderung verbreitete sich zum gleichen Zeitpunkt auch an Bord der einmotorigen W 34hi. Wie um Himmels Willen konnte ein so versierter und fronterfahrener Blindfluginstruktor so weit vom Kurs abkommen? Doch zum Nachdenken blieb vorerst keine Zeit. Nun galt es erst einmal, den Vogel heil herunterzubringen. Der Schweizer Meldedienst hatte den Eindringling schon nach dem Überqueren der Grenze bei Schleitheim im Klettgau um 10.56 Uhr gemeldet. Der Flugweg führte westlich von Schaffhausen vorbei über das Rafzerfeld direkt nach Süden.

Kurz vor Bülach beschrieb die Maschine eine scharfe Kurve nach rechts, um sofort wieder südlichen Kurs zu nehmen und über Kloten auf rund 400 Meter Flughöhe direkt in Richtung Dübendorf weiterzufliegen. Um 11.11 Uhr tauchte die Junkers W 34hi nördlich des Militärflugplatzes auf und flog an dessen Ostrand entlang. Über der Swissair-Halle bei Wangen riss Oberfeldwebel Wilhelm Filsinger brüsk das Steuer um 180 Grad herum. Einem Bussard gleich ging die einmotorige Junkers plötzlich in den Sturzflug über. Die Mannschaft des Flab-Detachements 22 interpretierte diese Aktion des fremden Flugzeuges als einen unverhohlenen Angriff. Ohne einen Augenblick zu zögern, erteilte Geschützchef Korporal Wiederkehr den Feuerbefehl. Zwei vor dem Swissair-Abfertigungsgebäude postierte 20-mm-Flab-Kanonen 38 hämmerten insgesamt 28 Granaten in die Luft. Eines der Geschosse traf die Junkers in die rechte Tragfläche. Trotz der Beschädigung setzte die W 34hi sanft und ohne weitere Zwischenfälle auf dem Dübendorfer Flugfeld auf. Ein Überfallkommando der Schweizer Armee nahm die unbewaffnete deutsche Besatzung sofort in Gewahrsam.

Wilhelm Filsinger (links) im Gespräch mit einem Schweizer Oberleutnant (42_1)

Wilhelm Filsinger (links) im Gespräch mit einem Schweizer Oberleutnant (42_1)

Kurz darauf wurden die vier verdutzten Flieger erstmals vernommen und anschliessend in der Kantine des Militärflugplatzes verpflegt. Um 13.40 Uhr begannen Offiziere und Heerespolizisten mit einer zweiten Einvernahme, die allerdings kein klares Bild über die Hintergründe der unbeabsichtigten Grenzverletzung gab. Somit verfügte der Kommandant des Territorialkommandos 6, die Besatzung unter strenger Bewachung in die Infanteriekaserne Zürich zu überführen und sie als Gefangene zu behandeln. Oberfeldwebel Wilhelm Filsinger dämmerte es langsam, dass das süsse Nickerchen im Flugzeug im Nachhinein noch bittere Konsequenzen haben könnte. Spätestens, wenn er sich bei seinem Vorgesetzten bei der Blindflugschule in Aibling für seinen Abstecher in die Schweiz verantworten musste. In der Zwischenzeit liefen die diplomatischen Drähte heiss. Noch gleichentags um 20 Uhr besuchte der direkt aus Bern angereiste deutsche Luftfahrtattachee Fliegerstabsingenieur Mack, die vier internierten Flieger. Mit den Schweizer Behörden wurde vereinbart, das unbewaffnete Schulflugzeug am nächsten Tag wieder zurück in die Heimat starten zu lassen.

Die Unterredung zwischen der internierten Besatzung sowie dem deutschen Luftfahrtattachee hellten die Gründe der Landung nur spärlich auf. Der Oberfeldwebel verwickelte sich im Gespräch immer mehr in Widersprüche. Fliegerstabsingenieur Mack und die anwesenden Schweizer Vernehmungsoffiziere, die vom Nickerchen Filsingers natürlich nichts wussten, rätselten derweil, wie ein erfahrener Frontflieger bei einem Übungsflug so weit vom Kurs abkommen konnte. Mangelhafte Flugvorbereitung und ungenaue Navigationsangaben des Oberfeldwebels hatten sich während dreier Stunden zusammen mit dem Einnicken in verhängnisvoller Weise kumuliert. Die Absenz eines Funkers dürfte die Situation noch verschärft haben, da somit weder eine Verbindung zum Heimatflughafen noch Eigenpeilungen möglich waren.

300 Liter Benzin und eine Eskorte zur Grenze
Die in der Blindflugschule in Aibling zur Blindflugschulung eingesetzte Junkers W 34hi besass einen luftgekühlten BMW-132A-Sternmotor mit einer Leistung von 650 PS. Der Typ war ursprünglich als Transportflugzeug für die deutsche Luftwaffe konzipiert gewesen und verfügte über Sitzgelegenheiten für vier bis sechs Passagiere. Die Maschine trug eine ausgeprägte Segmenttarnung aus zwei unterschiedlichen Grüntö¬nen und die taktischen Kennzeichen PF+TE. Dem einmotorigen Blindflugtrainer aufgemalt war auch ein gelbes Rumpfband als Zulassungskennzeichen für die Ostfront. Die im Jahre 1937 erbaute einmotorige Transportmaschine wurde eigens für die Blindflugschulung mit einer Haube ausgerüstet, mit der der rechte Sitz im Führerraum komplett abgeschlossen werden konnte. Die Funkanlage bestand aus einer Telefunken-Station sowie einer Eigenpeilanlage.

Kurz nach der Landung um 11.12 Uhr ist dann die Junkers in eine Halle geschoben und unter Bewachung gestellt worden. Bereits am nächsten Tag schickte sich das Detachement 70 des Armee-Flugzeug-Parks an, die minimalen Beschädigungen zu reparieren. Die Junkers erhielt hinter dem tragenden Holm einen Treffer einer 20-mm-Granate. Da die Struktur der Tragfläche nicht in Mitleidenschaft gezogen worden war, genügte es, mit einem Stück Aluminium die Schussverletzung abzudecken.

Wahrend des zweiten Weltkrieges beschränkte sich die Eidgenossenschaft lediglich auf die Internierung von Kampfflugzeugen der kriegführenden Mächte. Unbewaffnete Schulmaschinen der Achsenmächte, die sich mit einiger Regelmässigkeit in die Schweiz verirrten, erhielten meistens einen Tag nach ihrer Landung die Erlaubnis zur Rückkehr ins Heimatland.
Diese Rahmenbedingungen waren auch bei der Junkers W 34hi gegeben. Als lupenreines Trainingsflugzeug trug sie keinerlei Bewaffnung. Bereits um neun Uhr morgens holte ein Auto die deutsche Besatzung in der Kaserne Zürich ab und brachte sie zurück nach Dübendorf.

In der Zwischenzeit hatten die Schweizer Mechaniker nicht nur die Beschussschäden behoben, sondern auch die Tanks mit 300 Liter Treibstoff aufgefüllt.
Auf Begehren von Wilhelm Filsinger hin erteilte die Fliegertruppe dem deutschen Flieger die Bewilligung zu einem kurzen Probeflug über Dübendorf. Dabei wurde dem Oberfeldwebel eingeschärft, nach höchstens drei Platzrunden wieder unverzüglich zu landen. Damit er sich nicht auf die französische Art mit seiner Junkers aus dem Staub machen konnte, wurden seine Flugschüler am Boden zurückgehalten.
Doch statt den vorgesehenen braven Platzrunden liess Oberfeldwebel Filsinger am Steuerknüppel so richtig die Sau heraus. Vor den Augen der verdutzten Soldaten und Offiziere gab er halsbrecherische Akrobatik zum Besten. Bei den waghalsigen Rechts- und Linkskurven touchierten die Tragflächenenden um ein Haar den Boden und die umliegenden Gebäude. Flugmanöver also, die den Anwesenden das Blut in den Adern gefrieren liessen.

Nach der Landung zur Rede gestellt, entgegnete Oberfeldwebel Filsinger den Schweizer Offizieren, dass er die Junkers einmal so richtig habe ausfliegen wollen. Weil eine solche Kür in Deutschland nicht erlaubt sei, habe er eben hier die Gelegenheit dazu genützt. Die Schweizer Behörden protestierten gegen dieses ungebührliche Verhalten wenige Tage später beim deutschen Luftfahrtattachee.

Um 11 Uhr, fast genau 24 Stunden nach der unbeabsichtigten Landung, erhielt die Besatzung die Erlaubnis zum Rückflug. Ein Schweizer Flugzeug eskortierte die W 34hi auf der Route Winterthur – Stein am Rhein, wo die Junkers Richtung Radolfszell die Schweiz verliess. Für Blindfluginstruktor Filsinger war der unfreiwillige Abstecher nach Dübendorf sicher eine gute Lektion, in Zukunft besser auf Karte und Kompass zu achten und die Nickerchen beiseite zu lassen!


Ereignissdatum 24.7.1941
Ort Dübendorf
Kanton ZH
Ereignis Landung
Nation Deutschland
Flugzeugart Transporter
Flugzeugtyp Junkers W 34
Flugzeugbezeichnung Junkers W 34-hi
Einteilung Flugzeugführerschule A/B 117
Basis Bad Aibling (DE)
Auftrag Ausbildungsflug
Rückkehr 25.07.1941 Rückflug nach Deutschland
Kennzeichen PF+TE
CH Archiv Nr. D015
Besatzung Pilot: Wilhelm Filsinger, Oberfeldwebel, konnte die Schweiz wieder verlassen
Pilotenschüler: Erich Breitenbach, Unteroffizier, konnte die Schweiz wieder verlassen
Pilotenschüler: Heinz Achilles, Gefreiter, konnte die Schweiz wieder verlassen
Pilotenschüler: Karl Becker, Gefreiter, konnte die Schweiz wieder verlassen
Quelle Fremde Flugzeuge in der Schweiz
Autor Theo Wilhelm