Ranger Mission
Die Maschine mit dem Verbandskennzeichen P3 stürzte nach einem Motorschaden bei Volketswil ab. Die Trümmer wurden in der Schweiz verschrottet.
Während des Zweiten Weltkrieges flogen die schnellen Mosquito-Flugzeuge der Royal Air Force oftmals auch wissentlich über die Schweiz. Dank ihrer hohen Geschwindigkeit blieben sie für unsere Jäger praktisch unerreichbar. Dennoch gelang es Morane-Jägern, am 30.September 1944 zwei dieser „Hölzernen Wunder“ in der Schweiz zur Landung zu zwingen. Zu Beginn des Jahres 1943 begann die Royal Air Force mit der Erprobung einer neuen Angriffstechnik, den sogenannten „Ranger Missions“. Dabei sollten die Mosquito-Besatzungen in einem zugewiesenen Gebiet alles angreifen, was ihnen lohnend erschien, Fahrzeuge, Versorgungsdepots und parkierte Flugzeuge. Mit dieser Taktik sollte die deutsche Luftwaffe zu einer zermürbenden, ständigen Einsatzbereitschaft gezwungen werden. Der erste Ranger-Einsatz wurde am 4. Februar 1943 von der No.264 Squadron geflogen. Dabei zeigte sich, dass diese meistens von nur zwei Maschinen geflogenen, überfallartigen Angriffe äusserst erfolgreich waren. Die Mosquito wurde ihrem Namen mehr als nur gerecht, stach sie doch überall im besetzten Europa immer ganz überraschend zu. Nach der Invasion 1944 konnten dank den vorgeschobenen Basen auf dem Kontinent auch Ziele in ganz Deutschland, Dänemark, der Tschechoslowakei und Ostpreussen erreicht werden.
Die No.515 Squadron erhielt ihre ersten Mosquitos Ende Februar 1944. Am 5. März 1944 flog Squadron Commander F.F. Lambert in einer von der No.605 Squadron ausgeborgten Mosquito den ersten Einsatz der Einheit und schoss dabei eine Heinkel He 177 ab. Die Hauptaufgabe der in Little Snoring stationierten Einheit waren Nachtjagdeinsätze über dem besetzten Kontinent, sogenannte „Intruder Missions“. Nach der Invasion wurden aber auch zahlreiche Ranger-Einsätze geflogen. Die beiden Mosquitos der No. 515 Squadron sollten nach dem Auftanken im französischen St. Dizier lohnenswerte Ziele im Raum München, Linz und Wien bekämpfen. Zu diesem Zweck erhielten die Flugzeuge grosse Flügelzusatztanks mit einem Fassungsvermögen von je 756 Litern. Nach Beendigung ihrer Mission sollten die Mosquitos wieder nach Little Snoring zurückkehren. Squadron Leader Henry Frederick Morley und Flight Sergeant Reginald Arthur Fidler sollten die Mosquito F.B.Mk.VI mit der Nummer PZ440 fliegen. Diese Maschine wurde bei den De Havilland-Werken in Hatfield gebaut und kam erst eine Woche zuvor am 23. September 1944 in Little Snoring an. Fälschlicherweise wurde der Maschine das Verbandskennzeichen „P3“ aufgemalt, das korrekte Kennzeichen für die No. 515 Squadron lautete „3P“. Ausserdem unterliessen es die Mechaniker, der PZ440 noch das individuelle Staffelkennzeichen in Form eines Buchstabens neben dem Verbandskennzeichen anzubringen. Die Besatzung der zweiten Maschine setzte sich aus Flight Lieutenant A. E. Callard und Flight Sergeant E. D. Townsley zusammen. Die Mosquito F.B.Mk.VI NS993 wurde ebenfalls in Hatfield gebaut und am 11. April 1944 der No. 617 Squadron zugeteilt, aber bereits am 14. Mai der No. 515 Squadron übergeben. Auch diese Maschine besass die falschen Verbandskennzeichen „P3-T“. Um 7.05 Uhr hoben die beiden Mosquitos in Little Snoring ab und landeten später in St. Dizier, um 11.55 Uhr verliessen sie die vorgeschobene Basis in Frankreich zu ihrer langen Ranger-Mission. Um 13.20 Uhr erspähten Morley und sein Navigator Fidler auf dem Flugfeld von Holzkirchen in der Nähe von München zwei abgestellte Siebel Si 204. Reg Fidler erinnert sich: Wir stachen sofort auf die beiden Flugzeuge hinab und Morley schoss eine Viersekundensalve, welche beide Maschinen beschädigte. Herumfliegende Teile hatten allerdings auch einen der beiden Zusatztanks beschädigt, aus dem Leck floss dann das Benzin in Strömen aus. Wir entledigten uns der Tanks und machten uns wieder auf den Heimweg.
Dabei passierte die Crew auch den Flugplatz von Neubiberg bei München, welcher eine Anzahl Junkers Ju 86 beherbergte. Morley konnte der Versuchung nicht widerstehen und beschoss die parkierten Junkers-Veteranen. Mindestens eine Maschine wurde dabei schwer beschädigt. Reg Fidler über den Rückflug: Wegen der verminderten Treibstoffkapazität waren wir natürlich gezwungen, den kürzesten Weg nach Hause einzuschlagen – und der führte eben auch durch die Schweiz. Zwischen dem Bodensee und Zürich erwischte uns die Schweizer Flab und beschädigte ein Triebwerk so schwer, dass Morley es stilllegen musste. Es handelte sich dabei um eine im Kanton Thurgau stationierte Flab-Einheit. In der Zwischenzeit starteten auch vier Moranes der Flieger Kompanie 14 von Dübendorf aus, um den Eindringling abzufangen. Die waidwunde Mosquito war natürlich eine leichte Beute. Mit Leuchtspurmunition gaben die Schweizer Piloten der britischen Besatzung unmissverständlich zu verstehen, dass sie in Dübendorf landen sollte. Reg. Fidler erinnert sich: Unser intaktes Triebwerk verlor immer mehr an Leistung und wir somit auch an Höhe. Die Geschwindigkeit betrug nur noch 225km/h, was eigentlich der normalen Landegeschwindigkeit einer Mosquito entsprach. In etwa 30m Höhe setzte das Triebwerk plötzlich aus, und wir machten Bruch. Wir beide wurden dabei verletzt und erhielten erste Hilfe von herbeieilenden Zivilisten. Später wurden wir ins Spital von Zürich eingeliefert. Bei der Bruchlandung bei Volketswil wurde die Mosquito schwer beschädigt. Die Schweizer Untersuchungskommission stellte 3 MG-Einschüsse im Merlin-Motor und zwei weitere in der linken Tragfläche fest. Die PZ440 wurde als nicht mehr reparierbar eingestuft und später in der Schweiz abgebrochen.
Nachdem sich Morley und Fidler in der Mosquito PZ440 auf den Heimweg gemacht hatten, setzte die Besatzung der NS993 ihren Flug allein fort. Um 13.28 Uhr entdeckten sie zwei auf dem Chiemsee ankernde Flugboote Dornier Do 24 und beschädigten eine Maschine schwer. Callard und Townsley flogen anschliessend in östlicher Richtung weiter und erspähten um 13.43 Uhr auf dem Flugplatz von Friedburg in der Nähe von Salzburg eine einsame Bf 109G. Nach einem Zweisekundenfeuerstoss explodierte die Messerschmitt in einem Feuerball, und herumfliegende Teile schlugen auch in die Mosquito ein. Erst als Mücken und Fliegen die Frontscheibe der Mosquito zu stark beschlagen hatten, entschloss sich Flight Lieutenant Callard zur Umkehr. Vorher wollte er sich noch einmal von den Schäden an den Do 24 auf dem Chiemsee überzeugen. Tatsächlich war eine Maschine total zerstört worden, Callard zog seine Mossie auf 60m hinunter und zerstörte auch die andere Do 24 mit einem kurzen Feuerstoss. Südlich von München überhitzte der rechte Merlin-Motor, und der Pilot war gezwungen, das Triebwerk stillzulegen. Callard und Townsley drangen südlich vom Bodensee in die Schweiz ein und wurden um 15.25 Uhr nördlich von Zürich von vier Moranes gestellt. Da sich die Jäger nur auf beide Seiten der Mosquito hefteten und weder angriffen oder sonst irgendwelche aggressiven Gesten zeigten, ignorierte die britische Besatzung kurzerhand ihre Schweizer Eskorte und setzte den Flug fort, als sei nichts geschehen. Erst als die Moranes ein etwas aufdringlicheres Verhalten an den Tag legten, kam die Crew der Mosquito der Landeaufforderung nach und setzte die Maschine mit nur einem laufenden Triebwerk sicher auf dem Flugplatz Dübendorf auf. Die Besatzung wurde von den Schweizer Vernehmungsoffizieren eingehend über ihren Einsatz befragt und später interniert. A. E. Callard gelang wenig später die Flucht aus der Schweiz. Er kehrte am 21. Oktober 1944 zu seiner Einheit zurück und flog weiter Einsätze mit der Mosquito, so erfolgreich, dass ihm auch das begehrte Distinguished Flying Cross (DFC) verliehen wurde. Sein Navigator E. D. Townsley flüchtete am 22. Dezember aus dem Internierungscamp Arosa über Zürich nach Frankreich. Die Besatzung der bei Volketswil notgelandeten Mosquito PZ440 blieb während einiger Zeit im Spital von Zürich. Am 18. Oktober 1944 gelang Henry Morley die Flucht aus dem Spital und der Schweiz. Dank der Hilfe der französischen Untergrundbewegung kehrte er am 30. Oktober 1944 nach Little Snoring zurück.
Reg Fidler verabschiedete sich bereits am 13. Oktober 1944 diskret aus dem Spital und hielt sich in Zürich versteckt. Zusammen mit Morley überstieg er am 26. Oktober 1944 den Grenzzaun bei Perly, als beide von Schweizer Soldaten überrascht wurden. Fidler wurde nach drei Stunden von den Soldaten aufgegriffen und in ein zum Militärgefängnis umgebautes Schulhaus in Genf gebracht. Bereits einen Tag später misslang ein weiterer Fluchtversuch, worauf Fidler ins Militärgefängnis Wauwil eingewiesen wurde. Am 14. November wurde er nach Arosa verlegt. Zusammen mit Flight Sergeant Townsley, Pilot Officer Millard und den Flight Sergeant D. P. Balmer und M. T. Bartle gelang ihm am 22. Dezember die Flucht nach Frankreich. Schütze Balmer und Funker Bartle gehörten zur Besatzung der am 28. April 1944 bei Steckborn von der Schweizer Flab abgeschossenen Lancaster B.Mk.III ND759 der No. 35 Squadron. Die fünf internierten Flieger kehrten schliesslich dank der Hilfe des französischen Untergrundes nach England zurück. Morley und Fidler verloren sich für lange Zeit aus den Augen, bis sie der Zufall wieder zusammenführte. Seitdem treffen sie sich einmal jährlich am 30. September, um den Jahrestag ihres unfreiwilligen Abstechers in die Schweiz zu begehen.
Ereignissdatum | 30.9.1944 |
Ereignisszeit | 14.37 |
Ort | Volketswil |
Kanton | ZH |
Ereignis | Absturz |
Nation | England |
Flugzeugart | Bomber |
Flugzeugtyp | De Havilland D.H. 98 Mosquito |
Flugzeugbezeichnung | De Havilland D.H. 98 Mosquito F.B.Mk.VI |
Einteilung | No. 515 Squadron |
Basis | Northolt, Greater London (GB) |
Auftrag | Ranger Mission |
Einsatzziel | München (DE), Linz und Wien (AT) |
Rückkehr | in der Schweiz verschrottet |
Werknummer | PZ440 |
Squadroncode | P3 |
CH Archiv Nr. | E011 |
Besatzung | Pilot: Henry Frederick Morley, Squadron Leader, Flucht aus der Schweiz Navigator: Reginald Arthur Fidler, F/S, Flucht aus der Schweiz |
Quelle | Fremde Flugzeuge in der Schweiz |
Autor | Theo Wilhelm |